Guy Lacroix: Auf der Jagd nach dem Rosenkranzmörder (Clockwork Cologne) (German Edition)
heute mitgenommen hast und ich viel zu viele Vorstellungen verpasst habe.«
»Du Lügner!« Hedwig gab ihm einen Klaps auf den Arm. »Wie viele Male habe ich dich schon gebeten, mich zu begleiten? Hundert? Tausend?«
»Unendlich viele Male! Wie kannst du es nur mit einem solchen Banausen aushalten?«
Eine Mietkutsche näherte sich und Guy hob den Arm. Hedwig nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und sah ihm tief in die Augen. »Ich liebe dich, du Banause.«
Guy beugte sich zu ihr hinunter, berührte sacht ihre Lippen mit seinen. Das Hupen des Chauffeurs ließ sie auseinanderfahren. »Möchtest du noch etwas essen?«
Hedwig schüttelte den Kopf. »Lass uns nach Hause fahren.«
Sie stiegen in die Mietkutsche und Guy nannte dem Chauffeur ihre Adresse. Mit einem lauten Knall stieß das Automobil eine Dampfwolke aus und setzte sich in Bewegung.
»Ich werde mich nie an diese stinkenden Gefährte gewöhnen«, sagte Hedwig. »Ich liebte das gemächliche Traben der Pferde, ihren Geruch, das Geräusch der Hufe auf dem Asphalt.«
»Bei dieser Witterung mögen auch Pferdekutschen noch fahren können, aber wenn der Rußausstoß der Dampfkraftwerke wieder stärker wird …«
»Ich weiß.« Mit einem Seufzen lehnte sie den Kopf an seine Schulter und Guy legte den Arm um ihre Schultern.
»Was meintest du vorhin damit, dass es traurig sei? Die Primadonna war fantastisch, ihre Stimme ist die Krönung von Professor Küpperbuschs Schaffensperiode.«
»Hast du nicht gesehen, wie sie schwankte? Den Schmerz in ihren Augen? Ihre Karriere neigt sich dem Ende zu. Bald werden die Apparaturen an ihren Stimmbändern Rost ansetzen, die Organe versagen. Sie steht schon länger auf der Bühne als alle anderen Primadonnen vor ihr.«
Guy sah aus dem Fenster. Noch waren die Straßen voller Leben, aber bald schon würden sie sich leeren. Die DMG hatte eine Ausgangssperre ab 23.00 Uhr angeordnet. Tiefdruck war angekündigt worden.
»Ich erinnere mich«, sagte er. »Ich habe seinerzeit einen Artikel darüber gelesen. Die letzte Primadonna brach auf der Bühne zusammen. Nachdem sie den letzten Ton gesungen hatte, hörte ihr Herz auf zu schlagen. Einfach so. Du hast recht, es ist traurig.«
Die Mietkutsche stoppe vor ihrem Haus. Guy bezahlte den Fahrer und sie gingen hinein. Die Haushälterin half ihnen aus den Mänteln und fragte nach ihren Wünschen.
»Wir sind wunschlos glücklich«, sagte Guy. »Sie können zu Bett gehen, Fräulein Weber.«
Als sich die Tür zum Dienstbotenbereich geschlossen hatte, nahm er Hedwig auf die Arme und trug sie nach oben ins Schlafzimmer.
2
Guy stand mit verschränkten Armen am Fenster und sah auf die Straße. Die Sonne war gerade aufgegangen und ließ die geschwärzten Fassaden der Backsteinhäuser noch düsterer erscheinen. In diesem Teil der Stadt hielt sich der Verfall in Grenzen, kaum Unrat in den Gassen, nur wenige Bettler, die in den Hauseingängen kauerten, schmutzige Tücher um die Gesichter geschlungen. Doch auch diese hatten sich heute verkrochen. Keine Menschenseele war unterwegs. Selbst die Chauffeure schienen ihre Mietkutschen an diesem Tag in den Unterständen zu lassen. Eine gute Entscheidung.
Es herrschte Tiefdruck und der Wind trieb den Ruß der Dampfkraftwerke durch die Gassen. Die schwarzen Wolken ließen schon an guten Tagen das Atmen zur Qual werden. An Tagen wie diesem grenzte es an Selbstmord, den Schutz des Hauses ohne Rußmaske zu verlassen. Doch Atemschutzgeräte waren knapp und teuer, in den kaiserlichen Warenhäusern schwer zu bekommen. Auf dem Schwarzmarkt erzielten die Hehler mit veralteten Geräten Höchstpreise, die nicht einmal schlichte Staubkörner filtern konnten, geschweige denn den schweren schwarzen Ruß, der die Stadt unter sich begrub wie böser Schnee.
In Guy Lacroix' Besitz befanden sich natürlich eine Rußmaske und eine Schutzbrille, ebenso ein sechsschüssiger Revolver. Die Standardausrüstung der Kommissäre des Kaiserlichen Kriminalamtes. Er war so gut ausgerüstet, wie es in diesen Zeiten möglich war. Er hatte nicht die Wahl, in seinem Haus zu bleiben, er hatte seine Pflicht zu erfüllen, die heute darin bestand, im Hafenviertel einen Ambrosia-Händler festzunehmen.
Er ließ die Trommel seiner Dienstwaffe rotieren und steckte sie in das Schulterholster. Dann zog er seinen schwarzen Gehrock darüber, richtete ihn und überprüfte den Sitz in dem großen Spiegel.
Hedwig seufzte im Schlaf und er beugte sich über sie, betrachtete ihr Gesicht, die ein
Weitere Kostenlose Bücher