Gwydion 02 - Die Macht des Grals
sehen. Er hat mir auch von einer Prophezeiung berichtet, die besagt, dass das Einhorn dereinst den Drachen töten wird.“
Gwyn bemerkte die Verwirrung seiner Schwester. Und fuhr fort.
„König Artur führt den Drachen im Schild, er ist das Zeichen von Camelot. Und das Einhorn… nun, sieh selbst.“
Gwyn zog das Medaillon hervor, das ihm seine Mutter Valeria hinterlassen hatte.
Muriel nickte langsam, denn sie kannte das Schmuckstück. Gwyn hatte es stets gehütet wie einen Schatz. Dann starrte sie ihn fragend an.
„ Ich bin das Einhorn“, sagte er, da Muriel offensichtlich immer noch nicht zu verstehen schien. „Artur wird durch meine Hand sterben. Das zumindest sagt die Prophezeiung.“
„Gwyn, das ist doch Unsinn“, rief Muriel.
„So, ist es das?“, sagte Gwyn mit zitternder Stimme. „Und wieso sehe ich den Tod des Königs in meinen Träumen? Ihn und seinen verräterischen Sohn Mordred, auf dem Schlachtfeld von derselben Lanze durchbohrt? Und ich stehe daneben mit Excalibur in der Hand. Verstehst du nicht? Das Einhorn wird den Drachen töten! Ich will keine Schuld am Untergang Camelots tragen! Auch deswegen musste ich fortgehen! Und ich muss herausfinden, wer meine Mutter war!“
Muriel schüttelte ungläubig den Kopf.
„Das sind doch nur alte Legenden. Gwyn, ich erkenne dich nicht wieder. Du hast doch sonst nicht an derlei Hirngespinste geglaubt!“
Gwyn lächelte grimmig.
„Nun, Mordred hingegen scheint an die Legende zu glauben. Auch er führt den Drachen im Schild. Als er mein Medaillon entdeckte, versuchte er mich umzubringen!“
Muriel sah Gwyn entsetzt an.
„Aber… hast du mit irgendjemandem über die Sache gesprochen? Weiß König Artur davon?“
Gwyn schaute seine Schwester an, als habe sie den Verstand verloren. Er dachte an Merlins Warnung, das Medaillon irgendjemandem zu zeigen. Vor allem nicht dem König.
„Natürlich nicht. Auch Artur kennt die Prophezeiung. Wenn er wüsste, dass ich das Einhorn bin, säße ich heute nicht hier. Jedenfalls bleibe ich nun hier. Wahrscheinlich kann ich so am wenigsten Unheil anrichten.“
Muriel schnitt eine Scheibe Schinken ab.
„Nun, Vater kann jede Hand zum Wiederaufbau des Hofs brauchen. Und auch ich würde mich freuen. Seitdem du weggegangen bist, ist es hier ziemlich einsam geworden. Ich glaube, selbst die Schweine vermissen dich.“
Jetzt musste Gwyn lachen.
„Ja, die Tiere sind verdammt schlau“, fuhr Muriel mit vollem Mund fort. „Nachdem die Sachsen wieder abgezogen waren, sind sie auf einmal wieder aufgetaucht. Hatten zwar nicht mehr so viel Speck auf den Rippen, doch ansonsten ging es ihnen gut. Nur hat sich Edwin als wenig begabter Schweinehirt erwiesen. Nachdem er ihnen tagelang schreiend hinterhergelaufen war und die Viecher ihm immer wieder davonliefen, hat er es wohl aufgegeben. Sie lungern aber immer noch in der Nähe des Hofs herum.“
Gwyn grinste breit und nahm sich nun ebenfalls ein Stück Schinken. „Dann wird es wohl Zeit, dass sich wieder jemand um sie kümmert.“ Er stand kauend auf, zog sich den Waffenrock über den Kopf und legte ihn fein säuberlich zusammen. Dann zog er wieder seine alte, grobe Bauernkleidung an, die er während seiner Zeit auf Camelot aufbewahrt hatte. Schließlich hängte er Sir Humberts Schwert an einen Nagel bei der Feuerstelle.
„Ach, Gwyn“, seufzte Muriel. „Auch wenn es so aussieht, als wärst du niemals weg gewesen, scheinen dir doch die alten Sachen nicht mehr zu passen.“
Er sah an sich hinab. Tatsächlich. Das Wams, das sonst immer viel zu weit gewesen war, spannte nun über Bauch und Brust. Und auch die Ärmel schienen kürzer geworden zu sein. Er war nicht dicker geworden, doch das vergleichsweise gute Essen auf Camelot hatte zusammen mit dem harten Waffentraining dafür gesorgt, dass sich seine Muskeln in der relativ kurzen Zeit kräftig entwickelt hatten.
„In ein paar Wochen wird mir das Gewand nicht mehr zu eng sein“, murmelte Gwyn in dem Bewusstsein, dass er sich demnächst wieder ausschließlich von Haferbrei und dünner Wurzelbrühe ernähren würde.
Er trat hinaus vor die Tür und sah Pegasus betrübt an.
„Ich hoffe, es macht dir nichts aus, den Rest deiner Tage als Ackergaul zu verbringen“, sagte Gwyn, als er seinen treuen Freund in den Stall führte. „Ich für meinen Teil bin froh, wenn ich in Zukunft vor weiteren Abenteuern verschont bleibe. Das mag zwar kein ruhmreicher Lebensabend für ein stolzes Ross wie dich sein, doch dafür ist das
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