Gwydion 02 - Die Macht des Grals
der kreidebleich im Gesicht war, angerannt kam und schrie: „Mord! Oh mein Gott, Mord in Camelot!“
Alle drehten sich zu dem keuchenden dicken Mann um, der sich nicht zu beruhigen schien.
„Herr im Himmel, stehe uns bei“, jammerte Arnold mit seiner weinerlichen Stimme, doch sein Entsetzen war echt. „Er ist tot. Ganz bestimmt ist er tot.“
Artur bahnte sich einen Weg durch die Menge. „Wer soll tot sein?“
„Sir Kay!“, rief er und zitterte dabei am ganzen Leib. „Ich habe den Hofmeister in seinem Blut liegen sehen. Ein Messer steckte in seinem Rücken.“ Er drehte sich um und zeigte auf eine Stelle dicht bei den Lendenwirbeln.
„Wo habt ihr ihn gefunden?“, fragte Artur, als er sich auf den Weg zurück in den Burghof machte.
„In seinem Turnierzelt. Ich war gerade dabei, mit meinen Burschen alles für das abendliche Bankett herzurichten, da sah ich ihn auf der Erde liegen.“
Artur schlug die Zeltbahnen beiseite und beugte sich zu seinem Milchbruder hinab. Merlin war bei ihm und untersuchte den reglosen Körper.
„Er lebt“, sagte er. „Doch sein Herz schlägt nur noch schwach. Er hat sehr viel Blut verloren.“
Artur fletschte die Zähne. „Wer war das? Wer hat dieses feige Attentat verübt?“
„Ich habe keine Ahnung“, schluchzte Arnold. „Ich habe seinen Sohn Rowan überall gesucht, doch ihn nirgendwo gefunden.“
Gwyn spürte, wie auf einmal alles Blut aus seinem Gesicht wich. Hatte Katlyn ihm nicht gesagt, dass sie das Gefühl habe, Rowan sei im Begriff, eine Riesendummheit zu begehen, und er solle seinen Freund deswegen im Auge behalten?
„Durchsucht die Burg“, brüllte Artur. „Findet diesen Jungen. Und wenn ihr ihn habt, bringt ihn zu mir!“
Doch es dauerte nicht lange, bis Sir Dagonet wieder zurückkam. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. „Wir haben den Stall durchsucht. Rowans Pferd ist weg. Und mit ihm alle Habseligkeiten des Jungen.“
„Wir machen uns sofort auf den Weg, mein König“, rief Lancelot. „Weit kann er nicht sein.“ Er nickte den anderen zu, die sich ihm anschlossen und die Pferde sattelten. Keine fünf Minuten später preschten die Ritter der Tafelrunde durch das offene Tor auf der Jagd nach einem Menschen, der Gwyns bester Freund war.
Gegen Abend wurde die Suche erfolglos abgebrochen. Sir Lancelot und die anderen Ritter kehrten unverrichteter Dinge wieder zurück. Rowan blieb verschwunden.
Während im Inneren der Burg noch helle Aufregung herrschte, ging Gwyn hinaus zu der Linde, unter der nun die sterblichen Überreste von König Bran ruhten. Die Sonne ging im Westen unter und die Raben kreisten immer noch wie schwarze Engel über Camelot, als Gwyn eine Blume auf das Grab von Bran Fendigaid legte.
Was für ein Tag, dachte er.
„Du hättest es nicht verhindern können, Gwydion“, sagte Merlin, der auf einmal neben ihm stand.
„Katlyn hatte etwas geahnt und mich gewarnt. Natürlich hätte ich es verhindern können“, entgegnete Gwyn.
„Dann sind wir alle nicht frei von Schuld. Jeder hat gesehen, wie Sir Kay seinen Sohn behandelte, und niemand ist eingeschritten. Auch ich nicht, obwohl ich ahnte, wo das enden würde.“
„Und wie werdet Ihr damit leben?“, fragte Gwyn bitter.
„Genau wie du oder jeder andere, der in seinem Leben Fehler macht: Ich lebe sehr schlecht mit ihnen“, erwiderte Merlin. „Aber ich laufe nicht vor ihnen davon. Wenn ich das jedes Mal täte, wäre ich nicht auf Camelot, sondern hätte mich irgendwo im Wald verkrochen und würde mich von Wurzeln und Käfern ernähren.“ Er schaute Gwyn an. „Was ist mit dir? Stellst du dich deinem Schicksal und kämpfst? Oder wirst du davonlaufen?“
Gwyn schaute auf das Holzkreuz. „Nein“, sagte er. „Ich weiß nun, wo ich herkomme, und ich kenne den Weg, den ich gehen muss.“
„Und wirst du ihn gehen?“
Gwyn nickte.
„Auch wenn es bedeutet, dass du Fehler machst, die dich und andere verletzen werden?“
„Ja“, sagte Gwydion und drehte sich zu Merlin um. „Ich trete mein Erbe an. Und werde den Gral finden.“
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