Hab keine Angst, mein Maedchen
abgerissen. Sie hatte es verputzen und streichen lassen. Mit knallgelber Farbe. Zwischen wuchernden Kräuterstauden und üppigem Schmetterlingsflieder leuchtete es wie eine pralle Sonnenblume.
Es musste sein neues Aussehen schon länger haben. Kletterrosen rankten bereits blühend an den Hauswänden empor. Meine Güte, war es so lange her, dass ich Mama besucht hatte? Ich schob das aufkeimende schlechte Gewissen beiseite. Sie hätte genauso gut zu mir kommen können. Sie wusste, wo ich wohnte. Warum müssen Kinder sich immer schuldig fühlen, wenn sie ihre Eltern lange nicht gesehen haben? Immerhin konnte sie sich ihre Zeit freier einteilen als ich.
In dem Augenblick öffnete meine Mutter die Haustür. Sie sah bestechend gesund aus. Richtig gut, wenn man bedachte, dass sie schon Ende 70 war. Eine für ihre Generation sehr große Frau. Fast einen Kopf größer als ich und von kräftiger Statur. Nicht dick. Irgendwie sah sie immer durchtrainiert aus, dabei hatte sie nie Sport getrieben. Sie ging nur spazieren, hegte ihren Minigarten und machte ein paar Yogaübungen.
Sie kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Ich wehrte ihre Umarmung mit einer fahrigen Bewegung ab. Ich war nicht bereit, ihr auf Knopfdruck einen unkomplizierten Tochter-Besuch zu bieten. Außerdem hatte ich das Gefühl zu kochen und durch die kleinste Berührung zu explodieren.
»Komm, kühl dich erst einmal ab«, sagte sie herzlich und verschwand in ihrer Laube. Ich folgte ihr. Drinnen nahm mir die schummrige Beleuchtung für einen Augenblick die Sicht. Der verwachsene, alte Zwetschgenbaum vor dem Fenster sperrte das Sonnenlicht aus. Durch sein Blätterdach fielen nur ein paar tanzende Strahlen.
»Nun komm«, rief Mama aus der Waschecke. Sie pumpte bereits mit kräftigen Schwüngen frisches Wasser in einen großen Metalleimer.
»Halt deine Arme ganz tief rein«, forderte sie mich auf und trat zur Seite. Am liebsten wäre ich bockig stehen geblieben, aber ich schwitzte so sehr, dass ich wortlos ihren Anweisungen folgte. Es war eine Wohltat. Das herrlich kalte Wasser sorgte innerhalb kürzester Zeit dafür, dass keine Lava mehr durch meine Adern zirkulierte.
»Schön, dass du gekommen bist«, sagte Mama und reichte mir ein Handtuch. Ich verkniff mir eine zynische Antwort.
Sie hatte auf der kleinen Veranda eingedeckt und einen saftigen Zwetschgenkuchen gebacken. Dabei wusste sie genau, dass ich schon lange keine Weißmehlprodukte und schon gar keinen Zucker mehr aß.
Sie hatte Zitronen in Scheiben geschnitten, mit Gewürznelken gespickt und auf einer blassgelben Tischdecke verteilt. Mamas Geheimwaffe gegen Wespen und am Abend auch gegen Mücken.
Ich setzte mich steif auf einen Korbstuhl, als würde ich hier fremd sein. Mit dieser Laube verbanden mich nur wenig Erinnerungen, und die lagen lange zurück. Meine Mutter hatte sich erst entschieden, die meiste Zeit hier draußen zu leben, als ich fast erwachsen war.
Ihre graublauen Augen musterten mich liebevoll. Der mütterlich umarmende Blick reizte mich erneut.
»Mama, für diese – sogenannte Einladung musst du einen guten Grund parat haben. Mittwochnachmittags erledige ich den Wocheneinkauf und danach gehe ich in den Stall. Da will ich heute auch noch hin. Also, was ist passiert?«
Mama platzierte großzügig geschnittene Kuchenstücke auf Teller und machte den Eindruck, als müsste sie angestrengt überlegen, warum sie mich herzitiert hatte.
»Ich esse keinen Kuchen«, sagte ich und schob den Teller mit einer ungeduldigen Bewegung von mir weg.
»Das war früher dein Lieblingskuchen.«
»Früher. Früher hatte ich auch keine Ahnung, wie viel Schlacke das in meinen Gefäßen hinterlässt.«
Ihr Blick verwandelte sich in ein ganzes Meer aus Mitgefühl. Diese offensichtliche Empathie hatte mich schon immer auf die Palme gebracht.
»Mama, du wolltest mir etwas Wichtiges erzählen. Sozusagen deine Hinterlassenschaft regeln.«
Sie nickte beschämt. »Michelle, das ist schwer zu erklären. Sehr schwer. Ich habe einen großen Fehler gemacht. Und ich kann ihn nicht wieder rückgängig machen.«
Ich sah sie scharf an. Sie sah klar aus. Aber das konnte durchaus täuschen.
»Mama, es gibt keine Fehler, die man nicht wieder ausbügeln kann«, erwiderte ich mit praxistrainierter sanfter Stimme. »Sag mir, was passiert ist. Schon vergessen, dein Schwiegersohn ist Jurist.«
Sie lächelte schwach. »Ach, Hans kann in diesem Fall auch nicht helfen.«
»Hast du irgendwas gekauft, ich meine so was wie
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