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Ufer von Morgen

Ufer von Morgen

Titel: Ufer von Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Eine Entscheidung auf Knall und Fall
    Die Gesetzgeber haben Millionen Gesetze gesprochen
Eine Handvoll hat der Schöpfer gezeugt
Erstere werden ständig gebrochen
Letztere nicht einmal gebeugt.
    David Gordon
Ballade von den Mitteln und Wegen
    Oberflächlich betrachtet war das, was dem Raumpassagierschiff Martian Queen geschah, sehr unwahrscheinlich. Wer gesunden Menschenverstand hat, würde niemals auf die Idee kommen, daß die Beschleunigung zufällig genau von einem Geschwindigkeitsvektor aufgehoben werden könne, und kein vernünftiger Spieler würde auf diese Unwahrscheinlichkeit setzen, ganz gleich, wie hoch die Gewinnchancen wären.
    Wenn man sich die Sache aber etwas näher ansieht, zeigt sich rasch, daß jedes denkbare Ereignis sehr unwahrscheinlich ist. Schließlich kann sich das unbefruchtete Ei von ein paar hundert Millionen Spermien eines aussuchen. Wie hoch stehen die Chancen, daß Sie auch Sie werden?
    Es ist jedoch sinnlos, die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses zu errechnen, wenn es schon stattgefunden hat. Man kann Zahlen erhalten, die beweisen, daß es nicht geschehen ist, und im Bereich von Ursache und Wirkung ist die Aufstellung von Gesetzen ex post facto nutzlos.
    Die Statistiken sprachen dagegen – aber es geschah.
    Die Martian Queen war ein Luxuspassagierschiff von ungefähr fünfhundert Tonnen und gehörte der Firma Barr Spaceways. Sie befand sich damals auf der ›kurzen‹ Flugbahn vom Mars zur Erde und hatte hundertfünfzig Passagiere und dreißig Besatzungsmitglieder an Bord.
    Was nun genau geschah, ist nicht zu sagen. Die vier Männer, die es hätten wissen können, waren Sekunden nach dem Ereignis tot. Und hätte ein Mensch nicht seinen kühlen Kopf behalten, hätte der Unfall noch weit mehr Todesopfer gefordert.
1
    »Wie lange noch?« fauchte Mrs. Natalie Ledbetter. Sie hatte den runden Kopf und die Falten einer Schildkröte.
    »Noch ein paar Stunden«, erwiderte Parksel mit der unendlichen Geduld eines Mannes, der mehr als seinen Teil auf sich genommen hatte und auch noch mehr ertragen konnte, solange es sich auszahlte.
    Mrs. Ledbetter zog eine Zigarette aus einem glänzenden Platin-Etui, zündete sie an und füllte ihre Lunge mit beißendem Qualm. »Ich kann Raumschiffe nicht ausstehen«, sagte sie. »Es liegt nicht an den engen Kabinen, und zu tun habe ich auch genug. Ich kann meine Direktoren auf dem Mars und auf der Erde erreichen. Was mich stört, ist das Gefühl, als wäre ich auf einer Achterbahn. Ich bin einmal mit so einem Ding gefahren, ein einziges Mal. Man hat das Gefühl, man kann nicht raus. Und am liebsten möchte ich raus. Frische Luft schöpfen. Doch da draußen ist nicht einmal abgestandene Luft.« Sie wies mit der Hand in Richtung Außenhaut des Schiffes.
    Parksel war ein großer, schwerer Mann mit einem Gesichtsausdruck, der weder Langeweile noch Dummheit zeigte, sondern nur reine Ergebenheit, der nicht anzusehen war, was hinter dem Gesicht gedanklich geschah. Er war zugleich Wächter, Pfleger und Privatsekretär. Er wurde gut bezahlt und war davon unterrichtet worden, daß er in ihrem Testament erwähnt sei, vorausgesetzt, sie würde nicht gewaltsam ums Leben kommen. Das kümmerte ihn nicht sonderlich. Mrs. Ledbetter war zäh, würde aber nicht mehr lange leben. Sie war hundertneun, und man merkte es ihr jetzt an.
    »Holen Sie die Schachfiguren, Parksel«, sagte sie. »Und denken Sie daran, nicht wieder in diese Dame-Springer-Falle zu gehen.«
    »Ja, Mrs. Ledbetter.« Er ging durch die kleine Kabine und holte das Spiel. Er stellte die Elfenbeinfiguren auf und blickte seine Chefin an. »Ich glaube, Sie haben den ersten Zug.«
    »Sie!« sagte sie gereizt. »Ich habe Sie das letzte Mal mit Weiß besiegt.«
    Er streckte eine Hand aus, als der Lautsprecher zu quäken anfing.
    »Achtung! In drei Minuten werden die Kreisel die Drehung des Schiffes abstoppen. Das ist nötig, um das Schiff abzubremsen. Suchen Sie bitte Ihre Kojen auf und schnallen Sie sich an. Sie werden in zwei Minuten noch einmal daran erinnert.«
    »Verdammt!« rief Natalie Ledbetter.
    Parksel beugte sich wortlos vor und sammelte die wertvollen Figuren ein. Insgeheim freute er sich. Der muffige Geruch der alten Frau störte ihn langsam, und er war froh, vom Tisch wegzukommen.
    George MacBride hörte sich die Durchsage an und blickte grinsend auf seine Frau hinunter. »Schatz, du hast gehört, was der Mann sagte – marsch, zurück ins Bett!«
    Marian MacBrides freundliches Gesicht verzog sich

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