Hacken
Erzgebirges, aber im Gegensatz zu Norbert in seiner Sanftmut operiert Bianca an einem Selbst der krassen Widersprüche: Sie arbeitet mit Maria Thuns kosmischem Kalender, isst nichts Tierisches, nicht einmal Honig. Ihre selbstgemachte Tätowierung auf der Haut erinnert an das primitivistische Logo der Einstürzenden Neubauten. Tatsächlich hört sie gerne Industrial. Wenn sie aber im Frühjahr das erste Grüngemüse im Gewächshaus erntet, dann ist all die Schroffheit weg. Dann scheint sie ein paar Zentimeter über den Pflanzen zu schweben, gerade aus dem Beet emporgewachsen.
Die Leute vom Lindenhof bieten sich im Gegensatz zum Athene Bio-Paar Norbert und Bianca eher für ein Gruppenporträt an. Allein die Größe der bewirtschafteten Flächen zeigt ja schon, dass hier ein paar Menschen mehr arbeiten müssen, um Garten, Felder und Weiden zu pflegen. Ackerland und Weiden kommen auf 125 Hektar, da ist der Garten in Apelnstedt noch nicht mit eingerechnet. Dazu kommt das Modell: Wo Athene Bio einen kleinstmöglichen Familienbetrieb bildet, da gehört zum Leben auf dem Lindenhof die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens und Arbeitens. Wer hier rund um die Uhr arbeitet, lebt hier. Die Gärtnerinnen Ilse, Anne-Sophie und Alex sowie der Gärtner Dominique mitseiner Familie etwa, dazu Ben, der Bauer. Markus ist immer und überall, dazu arbeiten noch viele weitere Menschen hier. Marei kam einst mit Markus von der Schwäbischen Alb, Buba backt zusammen mit Christoph, Ursula macht die Buchhaltung und kümmert sich um den Hofladen, in dem auch Inge regelmäßig an der Kasse steht.
So leben hier Erwachsene zwischen Mitte Zwanzig und Sechzig bei ständigem Weg- und Zuzug in einer Hofgemeinschaft. Wer schon länger hier ist, übernimmt auch Verantwortung in der Region. Markus vertritt die Interessen der Gegend in der Bundesdelegiertenversammlung von Bioland, der größten Gemeinschaft von Biobetrieben in Deutschland. Außerdem zählt die Hofgemeinschaft Lindenhof zu den wenigen Demonstrationsbetrieben dieses Vermarktungsverbands. Was Norbert über die Jahre erzählt hat, in denen der Markt am Winterfeldtplatz in Berlin-Schöneberg beschickt wurde, das zeigt sich auch heute noch: Auf dem Lindenhof wird die ganze Zeit gearbeitet. Dass Marei, Markus und Ilse schon seit fast zwanzig Jahren dabei sind, ist dieser Atmosphäre anzumerken: Jeder Handgriff wirkt sicher. Das erleichtert es den Jüngeren und Neuen, sich auf dem Hof zurechtzufinden. Bei aller Vorsicht, die beim Beurteilen eines so komplexen Gefüges wie einer Lebensgemeinschaft erwachsener Menschen angebracht ist: Der Vibe stimmt.
UNVERTRAUTER DRECK
Wo gearbeitet wird, fällt Dreck an. Es ist ein ganz anderer Dreck hier in Evessen und Eilum als in den Städten. Der Dreck dort unterscheidet sich vor allem in seinem Geruch vom Dreck einer landwirtschaftlich geprägten Gegend. Es riecht in der Stadt nach den schwefeligen, rattigen U-Bahn-Schächten in der City. Wer jemals in Berlin in der Nähe von Stationen wie Senefelder Platz oder Rosa-Luxemburg-Platz spaziert ist, kennt dieses Odeur. Wer sich nach mehreren Tagen Aufenthalt in London die Nase putzt, weiß um das gescheckte Schwarz in kleinsten Teilchen und wie es aus der Nase wieder herauskommt. Eben jener Dreck ist für Jahre mein Dreck gewesen. Er war mir vertraut geworden und vermag mir auch heute noch das Gefühl zu vermitteln, zuhause zu sein, am richtigen Ort.
Mit dem Dreck der Stadt ist es wohl wie mit jedem anderen Dreck auch: Mit der Zeit erzählt er die Geschichten, die man selbst erlebt hat. In der U7 fahren, mit zwei Leuten gleichen Alters auf der Bank gegenüber, mit Augen derart außer Kontrolle, dass bei jeder Station die Frage auftaucht, ob man nicht doch besser aussteigen soll. Wer weiß, was hier noch passieren wird … Oder der Wohnungsdreck in den Häusern von London, Glasgow, Berlin. Fichtestraße, Kreuzberg: Als ich dort lag, tat sich die Decke auf, Lehm fiel, Stroh rieselte herab. Chausseestraße, Mitte: Als ich mich hier duschte, blätterte Leitungsrost auf meine Haut.
Ganz anders hingegen der Dreck des Alltags in Evessen. Ob im Frühjahr die Sonne milde grinst, sich die Hitze im Sommer über den Eilumer Feldern anstaut oder das letzte Unkrautjäten sich schon mit den ersten Stürmen des Herbstes überschneidet. Dieser Dreck liegt immer offen da, in den Beeten, auf den Weiden und Feldern. Je nach Wetter kann er sehr kleinteilig daherwehen oder in der Form breiten Matsches
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