Hacken
gönnt man sich den Luxus einer Kulturredaktion. Unsere Homepage ist ein Berliner Stadtplan. Darin spüren wir dem anderen, dem subkulturellen Berlin nach. Aufstrebende Mode-Labels, neue Läden, dionysische DJs. Hier genieße ich ein zweites und auch ein letztes Mal die Hysterie und den Glamour des Dotcom-Hypes. Dieses Unternehmen wird drei Monate nach meinem Eintritt – als folgte mein Leben damals einem geheimen Dreimonatsrhythmus – von einem gigantischen europäischen Handyhersteller aufgefressen. Im Konzern greifen sofort die Effizienzmaßnahmen. Man besinnt sich auf das Kerngeschäft. Ein Dienst für ortsbezogene Datenanwendungen muss sich keine interaktive Berlinkarte leisten, keine mehrköpfige Kulturredaktion.Der chronisch vertrocknete Märchenbrunnen in Friedrichshain hätte seine Freude gehabt an all den Tränen, die im Jahr 2000 allein in Berlin vergossen wurden. Am Ende war es vielleicht sogar ein Zuviel an Planwirtschaft, das all die Blasen platzen ließ: Wir bringen euch unser Glück mit dem Internet, so lautete das Versprechen. Vergessen wurde dabei allerdings, womit »wir« diese Mittel aufbringen können, die zum Anliefern des Glücks benötigt werden. Erst nach dem Ende des Hypes wird das Netz zum Medium der Leute. Langsam, schrittweise, dabei stetig expandieren die digitalen Medien. Als ich zum letzten Mal den transluzenten, lila-weißen Plastikrechner herunterfahre, endet meine Karriere als Festangestellter ebenso wie mein Lebenslauf als Redakteur.
SPREEZENTRALE
Nach den Turbulenzen mit dem neuen Medium schreibe ich eine kleine Weile ausschließlich für Print, für
Die Tageszeitung
etwa und diverse Magazine. Als das Internet in meinen Arbeitsalltag zurückkehrt, nimmt es schon die Gestalt an, die es in meinem Leben von nun an haben wird. Diesmal nämlich bietet mir eine Kölner Redaktion einen Auftrag an, freie Mitarbeit, immerhin eine feste freie Mitarbeit. Die Musikmesse
Popkomm
beauftragt mich, für ihr unabhängig von der Messe betriebenes Online-Journal aus Berlin zu berichten. Während der Messezeit geht es hektischzu, wir alle hocken auf engstem Raum in Köln zusammen und berichten aus den Hallen und Konzerten der Messe. Über das ganze Jahr aber möchte die
Popkomm,
zu der Zeit eine der wichtigsten Musikmessen überhaupt, aus dem Musikgeschehen heraus senden.
So schicke ich aus meiner Kreuzberger Wohnung journalistische Schnappschüsse nach Köln – Momente aus jenem Berlin, das sich in den Jahren nach dem Mauerfall zur Partystadt schlechthin entwickelt. Techno zum Beispiel. Anderswo mag Techno nur eine vorübergehende Phase gewesen sein, vielleicht sogar nur so etwas wie ein Musikgenre. Berlin hat dagegen ein Trauma überwunden, das Trauma des Eingeschnürtseins. Ausgerechnet beim Feiern, beim Vergnügen an den Grenzüberschreitungen aller Arten, kann der Klang gar nicht laut genug sein. Das Licht nicht abwesend genug, die Dichte auf dem Tanzboden nicht hoch genug. Da hat sich etwas verkehrt im Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch der DDR. Es ist, als klinge hier die Vergangenheit der Stadt noch nach, als schaffe man gerade hier allnächtliche Klaustrophobien, um aus etwas vormals Oktroyiertem, der Mauer, einen Resonanzraum für Rituale zu bauen, eine einzige, riesige Sakralstätte.
Was in den Jahren, in denen ich für die
Popkomm
aus der Hauptstadt berichte, über das Thema Techno wahrgenommen wird, hat längst einen Berlin-Charakter erhalten. Der harte, der trainierte Körper mit den definierten Muskeln und strukturgebenden Sehnen gehört zu diesem Stereotyp ebenso wie die konkrete Architekturder Clubs. Fabriken, Stahlgerüste, Lagerräume. Dunkle Räume, geschlossene Räume sind es, in denen sie feiern, in denen ich feiere. Hier tanze ich zu Beats und Synkopen. Broken Beats, Nachfahren des Drum’n’Bass. Diese Musik will das Transzendieren des Eigenen, des Körpers und der Architektur, und Techno erreicht das. Doch das Signal, das Berlin in diesen Jahren aussendet und auch heute noch, ist ein anderes: Die Jugend nimmt sich Räume in einer Stadt, die von autoritären Staatsmächten durchdrungen war wie kaum eine andere. Der Mythos von der Transzendenz, von Techno als Rauschritual, zieht die Interessierten an; und der Mythos von der »befreiten Jugend«, die in Berlin tanzt, wird zur attraktiven Story für die Tageszeitungen, die Werbung, für die kreativen Industrien überhaupt.
So lockt Berlin auch zunehmend das Musikgeschäft an. Universal kommt im Sommer des
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