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Hämatom

Hämatom

Titel: Hämatom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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Schauer über den Rücken.
    Ich betrachtete den wimmernden Rocker und dachte daran,
ihm das Tütchen mit den Tabletten zu klauen. Wann genau hatte ich mein letztes
bisschen Würde verloren?
    Ich flüchtete aus der Disco, lief die Straße entlang, überquerte
eine Kreuzung, ohne auf die roten Ampeln zu achten, rüttelte an den Türen der
Häuser, drückte wahllos Klingeln, bis eine Tür aufging, und stieg auf das Dach
des Gebäudes.

    Â 
    Und dort saß ich immer noch.
    Das war also das Ende.
    Ich sah wieder zu den beleuchteten Fenstern im Haus gegenüber.
    Der Biertrinker schlief immer noch vorm Fernseher. Die
putzwütige Hausfrau tanzte mit dem Staubsauger Tango. Und das streitende
Pärchen wälzte sich beim Versöhnungssex im Bett.
    Ich holte mein Hightechhandy aus der Tasche. Nagelneu mit
Internetzugang, Foto- und Videokamera und Diktierfunktion. Alles sehr nützlich
für die Arbeit einer Privatdetektivin, der ich nie wieder nachgehen würde.
    Ich kontrollierte das Display. Doch er hatte schon lange
aufgehört, mich anzurufen. Hätte ich seine Nummer erkannt, wäre ich sowieso
nicht drangegangen.
    Ich steckte das Handy ein und stand auf.
    Der Lüftungsschacht knarrte. Wieder schrak ich zusammen.
Die Aufputschmittel ließen meinen Herzschlag in die Höhe schnellen.
    Ich trat an die Dachkante und sah in den Abgrund.
    Im Licht der Straßenlaternen glänzten tief unten der Asphalt
des Nordrings und die nassen Dächer der parkenden Autos.
    Der Wind wehte mir ins Gesicht, kalt, mit Regen vermischt.
Die Füße dicht nebeneinanderstellen, die Zehenspitzen auf der Betonkante des
Daches. Noch ein Mal einatmen. Augen schließen, die Luft im Gesicht spüren, im
Haar, zwischen den Fingern …
    Eine Sekunde lang stand ich bewegungslos.
    Da! Wieder ein Knacken – ich war nicht allein!
    Ich zuckte zurück in den Schatten, presste mich an den
Lüftungsschacht und lauschte atemlos.
    Das bildete ich mir doch nicht ein!
    Doch wieder blieb alles ruhig.
    Mein Herzflattern ließ etwas nach. Ich starrte auf die
Stelle an der Dachkante, an der ich eben noch gestanden hatte. Dann drehte ich mich
um und ging zu der Tür zurück, hinter der eine schmale Treppe nach unten
führte.

    Â 

4.
    Â»Mein Name ist Lila Ziegler, ich habe mindestens zwei verschiedene
Aufputschmittel und eine drei viertel Flasche Schnaps zu mir genommen und
glaube, das könnte eine Vergiftung bewirken«, erklärte ich knapp zehn Minuten
später der Dame hinter der Glasscheibe am Empfang des Otto-Ruer-Klinikums.
    Â»Ach, wirklich?« Sie blinzelte mich ungläubig über den
auffälligen, schwarzen Rahmen ihrer Brille hinweg an. »Ist Ihnen schlecht?
Schwindelig?«
    Â»Beides.« Ich vermutete, dass ich mir weder eine Alkoholvergiftung
noch eine Überdosis eingehandelt hatte, doch wenn ich als Notfall im
Krankenhaus aufgenommen werden wollte, dann musste ich die Sache ein bisschen dringend
machen. Und ich hatte keine Ahnung, wo ich sonst hinsollte.
    Ich wusste nur, dass ich nicht allein sein wollte, wenn
die betäubende Wirkung der Drogen nachließ.
    Die Frau griff nach dem Telefon: »Hoffmann, Empfang.
Schicken Sie mir mal eine Schwester runter.«
    Um acht Uhr zwölf an diesem Morgen hakte sich eine
kleine, dünne und merkwürdig haarlose Krankenschwester namens Gundel bei mir
ein und begleitete mich erst zur Untersuchung in die Notaufnahme und dann in
Zimmer 443 der Station für innere Medizin und Gastroenterologie.

    Â 
    Das Krankenhaus war riesig und nicht mehr neu.
Jedenfalls der Teil des Gebäudes, in dem sich mein Zimmer befand.
    Einen modernen, ebenso gewaltigen Gebäudetrakt konnte ich
aus meinem Fenster in der vierten Etage sehen. Der Neubau stand rechtwinklig
zum Altbau und war mehr aus Glas als aus Stein, sodass sich die Patienten im
Sommer wie Tomaten im Treibhaus fühlen mussten. Die acht Etagen der beiden
Gebäude waren durch gläserne Gänge miteinander verbunden. Darin sausten Ärzte,
Schwestern und Pfleger wie Laborratten in einem Versuchslabyrinth hin und her.
    Unterhalb der Glasgänge fuhren unablässig Krankenwagen
heran. Fahrbare Tragen, auf denen neue Kunden angeliefert wurden, schob man
durch einen Nebeneingang mit der Überschrift Notaufnahme. Ein Stück entfernt, auf einem riesigen, auf den
Asphalt aufgemalten Kreuz, stand ein Rettungshubschrauber zwischen kahlen
Bäumen und blattlosen

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