Haie an Bord
Noboro in zehn Tagen noch einmal ›unsere Vorräte strecken‹. O ich weiß, was ich da sage!« Bender rollte sich zusammen, als durchrasten ihn unerträgliche Schmerzen. »Aber wissen Sie eine bessere Feigheit als meine, um zu überleben? Nur eins verspreche ich Ihnen feierlich, und das habe ich mir vorhin geschworen, als ich das Abschlachten mit ansah: Wenn wir das Meer erreicht haben, bringe ich Noboro um. Das bin ich meinem Menschsein schuldig.«
»Ich helfe Ihnen dabei, Bender.« Wolff blickte mit Schaudern auf die stummen Männer, die die Toten wegtrugen. »Es wird der erste Mensch sein, den ich töte …«
»Bei mir auch, mein Junge.« Dr. Bender krümmte sich wie im Krampf. Seine Nerven verließen ihn, und er hatte den Drang, sich den Mund mit Sand vollzustopfen, um nicht zu schreien.
»Ein Monstrum wie Noboro darf nicht mehr weiterleben …«, und leise fügte er hinzu: »Dabei tut er alles nur für uns … der dankbare Diener seines Herrn. In seinen Augen lebt er gar nicht mehr … er wurde ja verschenkt … an uns –. Was er tut, tun wir! Wolff, aus diesem Teufelskreis kommen wir nie heraus.«
Jenseits der Lagerfeuer baute Noboro mit seinen Männern an der Reihe der Toten weiter. Es waren neunundvierzig Leichen, die sie zusammentrugen und nebeneinanderlegten wie ein Jäger seine Strecke.
»Nach meiner Karte müßten wir morgen in der Ferne die ersten felsigen Hochebenen sehen«, sagte Wolff tonlos. »Spätestens übermorgen.«
»Und von dort zum Meer?«
»Hundert Meilen …«
»Das schaffen wir.«
Wolff nickte, warf sich plötzlich herum, drückte sich gegen die ohnmächtige Eve und vergrub sein Gesicht zwischen ihren Brüsten.
An den Feuern quollen zaghaft, dann stärker, schließlich wie ein Orgelbrausen die Stimmen der Sklaven auf. Sie hockten um die Flammen und besangen nach ihren uralten Riten ihre Toten. Am lautesten und schönsten dröhnte Noboros Stimme … er war der Vorsänger der Totenklage.
Nach zwei Tagen – Wolff hatte die zaghafte Hoffnung, doch in der richtigen Richtung zu marschieren, schon heimlich aufgegeben – lösten sich aus dem flimmernden Dunst der heißen Luft, blau in blau, wie eine verschwommene Fata Morgana, schwebend wie auseinandergezogene Wolken, die Konturen der Gebirgsketten.
Der Felsenriegel zwischen Wüste und Meer. Die Mauer zwischen Hölle und Paradies.
Bender verhielt sein Kamel und streckte Wolff die Hand hinüber. »Gratuliere –«, sagte er mit Ergriffenheit in der Stimme. »Sie haben es geschafft, mein Junge.«
»Sie, Dr. Bender, nur Sie! Ihre Energie …« Wolff wischte sich über die Augen. Die Erscheinung blieb am Horizont, es war kein Trugbild, das sich wegwischen ließ. »Ich hatte heimlich aufgegeben …«
»Aber nach Ihrer Karte und Ihren Berechnungen sind wir marschiert. Es war eine Meisterleistung.«
»Es war Glück, pures unbegreifliches Glück, weiter nichts.« Wolff reichte Bender die kleine Karte hinüber. »Jetzt kann ich es Ihnen gestehen – ich habe immer nur geraten, wo wir sein könnten.«
»Auch gut.« Bender lachte rauh. »Dann sind Sie wie ein Kamel, das dem Gefühl nachrennt.«
»So ähnlich.« Wolff lächelte müde. Er blickte zurück. Eve ritt bei den Frauen inmitten der Lastkamele. Ihnen folgte der verkleinerte Block der Sklaven, an der Spitze, sandüberstaubt, der riesige Noboro. Er grinste breit und winkte mit beiden Armen. Er hatte die Berge schon längst gesehen und wußte, daß sie Sonne, Wind und Wüste besiegt hatten.
Von den Opfern dieses Höllenzuges sprach jetzt niemand mehr … das Leben stand vor der Tür, und es ging jetzt allein nur noch darum, diese Tür aufzustoßen.
Noch einmal rasteten sie in der Sandwüste zwischen zwei Dünen. Es war eine helle Nacht, der Mond versilberte die Wüste, und greifbar nahe fast, als verbände es sich mit den Sternen, lag das Gebirge vor ihnen. Bender, Wolff und Eve standen lange oben auf dem Sandhügel bis zu den Knien im weichen Sand, hatten sich an den Händen gefaßt und waren stumm vor Glück. Hinter ihnen loderten die Feuer, sangen die Sklaven, verteilte Noboro mit seinen zehn Männern eine Extraportion Fladen und Datteln, brodelte in den Kesseln Hirsesuppe mit großen Fleischstücken.
Auch die Kamele hatte eine Welle der Freude erfaßt … man merkte es daran, daß ihr computerhafter Wüstentrott – Bein nach Bein, links, rechts, ein ewiges Schaukeln – in eine schnellere Gangart überwechselte, ohne daß man sie antreiben mußte.
Dr. Bender steckte die
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