Geflüster auf Burg Schreckenstein
Telefongeflüster
„Ist das nicht komplett singulär?“ Mit dieser neuesten Umschreibung für das Wort einzigartig hob Amanda ihr Glas mit dem Gespritzten und trank.
„Absolut wirtshäuslich“, stimmte Andi ihr bei.
Sie saßen im Gasthof von Wampoldsreute und freuten sich, endlich ungestört zusammenzusein. Das war gar nicht so einfach. Wollten ein Schüler von Burg Schreckenstein und ein Mädchen des Internats Schloß Rosenfels – ein Ritter und ein Huhn, wie das im internen Sprachgebrauch hieß – sich treffen, gab es während des Trimesters nur wenige Gelegenheiten.
Ärgerlich hatte das schöne Mädchen am Vorabend auf der Burg angerufen und Andi Bescheid gesagt.
„Ich hab’ es satt, auf das nächste Sportfest zu warten, auf das Konzert oder sonst eine gemeinsame Veranstaltung, um dich mal wiederzusehen.“
„Willst du einen Streich mit mir machen?“ hatte Andi gefragt.
„Das am allerwenigsten!“ war die Antwort gekommen. „Streiche machen wir ja meist gegeneinander. Da darf man nur flüstern und sich nicht von der Sache ablenken, um die es geht. Außerdem sind immer andere dabei. Ich möchte dich sehen, Andi, mit dir quatschen. Weiß ja gar nicht mehr, wie du aussiehst nach den langen Ferien.“
„Mensch ja! Ich auch nicht. Womöglich hast du vier Zöpfe, an jeder Ecke einen, wie die Türme von Rosenfels…“
„Sag bloß, du hast jetzt eine Quadratfrisur wie euer Burgfried“, hatte sie ihn unterbrochen, „dann warte ich lieber bis zum nächsten Sportfest. Nein, im Ernst: Wenn wir uns sehen wollen, müssen wir uns was einfallen lassen…“
„Umwerfend richtig! Fragt sich bloß, was…“
Während Andi hochkomprimiert überlegte, hatte Amanda wie auf Knopfdruck losgesprudelt. Ihre Idee war höchst einfach: Treffen auf halbem Weg, nach dem Abendessen im Gasthof von Wampoldsreute. Sie wollte mit dem Elektroboot kommen, um nicht bei Dunkelheit allein auf der steilen Waldstraße herumzukurven. Für ihn war das Fahrrad das ideale Transportmittel. In Wampoldsreute würde sie niemand stören. Die Lehrer der beiden Schulen besuchten die Wirtschaft so gut wie nie. Vielleicht, um Bürgermeister Kress auszuweichen, dem sie gehörte? Der Wirt, wegen seiner Spiegelglatze auch Leuchtkugel von Wampoldsreute genannt, redete und fragte zuviel. Neuigkeiten aus beiden Schulen nahm er auf wie ein Müllschlucker.
Vor allem die Ritter waren ihm nie ganz geheuer. Mal verwünschte er sie, mal imponierten sie ihm. Solange sie nichts gegen seine lukrative Einnahmequelle, den Campingplatz, unternahmen und sich im Lokal ruhig verhielten, ließ er sie in Ruhe.
Für Amanda war das besonders wichtig. Wegen FDH. Fräulein Doktor Horn, die Leiterin von Rosenfels, hätte sich bestimmt darüber entrüstet, daß sich eines ihrer Mädchen im Wirtshaus mit einem Ritter traf. Umgehend hätte sie den Rex auf der Burg angerufen und ihm die Schuld gegeben: „Das kommt von Ihrer pseudo-liberalen Erziehung!“
Die Schülerselbstverwaltung auf Schreckenstein war ihr ein Greuel.
In der Gaststube saßen nur wenige Gäste. An seinem Stammplatz in der Ecke neben dem Schanktisch las Kress die alten Neuigkeiten vom Tage. Seine Glatze leuchtete über dem Rand der Zeitung.
„Sonnenuntergang!“ witzelte Amanda und bestellte sich noch einen Gespritzten. Andi trank aus und hielt der Kellnerin sein Glas hin. „Noch einen Apfelsaft.“
Amanda schüttelte den Kopf. „Warum schnorchelst du nicht ein kühles Bier?“
„Du weißt doch…“, erinnerte sie Andi an die Schreckensteiner Eigenart, „Alkohol und Nikotin finden wir schlapp…“
„Auch wenn’s niemand sieht?“ fiel sie ihm ins Wort. „Wir sind hier nicht auf der Burg, sondern endlich mal für uns, und ich fände es ausgesprochen gemütlich…“
„Ich auch.“ Andi lächelte mild. „Dazu brauche ich keinen Alkohol.“
Sein Blick auf die Uhr entging Amanda nicht. „Wenn du’s gemütlich findest, warum schaust du dann nach der Zeit? Ich denke, ein Ritter lügt nicht.“
„Mit den Augen kann ich gar nicht lügen“, erwiderte er. „Jeder Mensch schaut ab und zu mal auf seine Uhr.“
Amanda traute ihm nicht. „Habt ihr heute noch Ritterversammlung in der Folterkammer oder so was?“
Andi schüttelte den Kopf. „Es…, es ist nur ungewohnt, abends mit dir hier…“
„Du hast noch was vor!“ beharrte sie. „Gib’s zu.“
„Alles abgesagt!“ antwortete er.
„Was hast du abgesagt?“
„Ach, Florian – du weißt, unser Neuer von der FranzJoseph-Schule –, er wollte mit
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