Haie an Bord
Bringt einen alten Mann nicht dazu zu heulen …«
»Also angenommen? Sie kommen zu uns, Dr. Bender?«
»Ja.« Er drehte sich nicht dabei um, sondern sprach zu dem Gebirge hin, zu der greifbaren Freiheit. »Aber nur unter einer Bedingung: Ich bezahle das Haus.«
»Nein!«
»Doch!« Bender drehte sich um. »Es geht schon los. Wolff, Sie Querkopf! Ich habe keinen Menschen auf der Welt, genau wie McHolland. Und ich habe – weiß der Teufel wofür – gespart. Jetzt hat es einen Sinn gehabt. Ich will nichts geschenkt haben, ich bin kein Typ Fürsorgebettler. Ich kaufe mich bei Ihnen ein, mit einem Haus – und später gehört es Ihnen. Nur unter dieser Bedingung komme ich mit in Ihren schönen Garten. Na?«
»Schlagen Sie ein, Dr. Bender.«
Sie gaben sich die Hand und sahen sich lange stumm an. Hinter ihnen tanzten die Sklaven um die Feuer und kreischten die Weiber.
»Jetzt haben mein Leben und Sterben doch einen Sinn«, sagte Bender rauh. »Bis heute habe ich mich immer gefragt, warum ich in diese Welt gesetzt worden bin …«
Bis zum Morgen sangen und tanzten die Sklaven. Als die Sonne aufstieg, vergoldete sie zuerst die Gipfel der Felsen, und alle jubelten ihnen zu, denn gibt es etwas größeres, als Sand und Sonne zu besiegen?
Es dauerte noch fünf Tage, bis sie die kahle Felsenbarriere durchbrochen hatten. Da sie keine Wege kannten und es auch vermieden, sie zu suchen, aus Angst, hier noch könnten Araber sie wieder einfangen und ins Innere zurücktransportieren, zog die Karawane wie bisher auf gerader Linie durch Geröll und Felsenschluchten und bizarre Täler von erdrückender Kahlheit und siedender, gestauter Hitze.
Die Kamele wurden von Tag zu Tag unruhiger, bis sie in der fünften Nacht kaum mehr zu bewegen waren, sich zur Rast niederzusetzen.
»Sie riechen das Meer –«, sagte Bender. »Wenn ich nicht zu zerschlagen wäre, würde ich auf eine dieser Felszacken klettern und Umschau halten. Aber ich käme keine zehn Meter hoch …«
Am sechsten Tag schwankten sie durch die Felsen einen natürlichen, ansteigenden Weg hinauf. Es war, als zögen sie geradewegs in den Himmel, in diesen brennenden, fahlblauen Himmel, den sie am Tag hassen und in der Nacht lieben gelernt hatten.
Wolff, der wieder vorausritt, weil er das kräftigste Kamel unter sich hatte, hielt plötzlich auf der Höhe an und legte beide Hände über die Augen. Bender und Eve, die es sahen, trieben ihre Kamele an und trabten die letzten Meter den steilen Weg hinauf.
»Was haben Sie?« brüllte Bender. »Wolff, wir kommen!«
Sie erreichten die Kuppe, und auch sie warfen die Hände vor die Augen und wurden stumm.
Vor ihnen, in der Sonne spiegelnd, die Strahlen in Bündeln zurückwerfend, das Auge blendend, eine unendliche Fläche geschmolzenen Goldes, lag das Meer.
Die Begegnung war so plötzlich, so urgewaltig, daß man in dem Anblick unterging …
»Das Meer –«, stammelte Eve. »Das Meer … O mein Gott, das Meer …« Sie lehnte sich gegen Wolff, umklammerte ihn, weil das Kamel unter ihr unruhig wurde, und weinte.
»Ich habe es immer gehaßt«, sagte Bender tonlos. »Jetzt könnte ich mich auf es werfen wie auf eine Geliebte.«
»Wir schlagen das letzte Lager auf.« Wolff ließ sein Kamel niederknien. »Morgen früh beginnt der Abstieg.« Er sprang aus dem Sattel und winkte den Weg hinunter.
Die Lastkamele wurden schneller getrieben, Noboro lief an ihnen vorbei und den Weg hinauf. Wie eine schwarze Maschine stampfte er durch das Geröll. Oben auf der Höhe fiel er in die Knie, breitete die Arme weit aus und begrüßte stumm das Meer.
An diesem Abend, nach dem Essen und Trinken, ging Noboro herum und schnitt die Fesseln der Sklaven durch. Von Mann zu Mann ging er, Reihe nach Reihe, und jeden, den er befreite, umarmte er, küßte er, und die nun Überlebenden drückten ihn an sich und legten demütig ihren Kopf auf seine breite Schulter.
Dann wurden die Feuer geschürt, bis sie hell aufflammten, mit Holzstückchen wurde auf die Kamelsättel geschlagen, ein dumpfer, aber rhythmischer Ton, der die Trommeln ersetzte, die Weiber klatschten wieder in die Hände, und um das große Feuer in der Mitte begann der Tanz der Männer.
Bender, Eve und Dr. Wolff saßen abseits und wunderten sich über Noboro, der allein, von allen abgesondert, außerhalb des Feuerkreises saß, in sich zusammengesunken, ein fast kugeliger, schwarzer Block. Er schien zu beten, völlig in sich hineingekrochen zu sein, und er war völlig nackt und von allem
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