Haltlos
ich habe heute doch Geometrie…“
Da grinste auch er. „Und da kannst du natürlich nicht fehlen.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das kann ich tatsächlich nicht. Nach allem, was in den letzten Tagen passiert ist, muss ich Custos Portae einfach fragen, ob er sich mit mir treffen will. Und sei es nur, damit ich ein paar Antworten bekomme.“
Als sie in die Nähe der Uni kam, wusste Victoria sofort, dass ihr Geometrieprofessor schon am Campus war. Sie probierte aber nicht weiter, ihn genau zu orten, da das ganz offensichtlich zu Kopfschmerzen führte. Trotz allem wurde sie das Gefühl nicht los, dass er schon in seinem Büro war. Es fiel ihr schwer, das nicht mit ihrer neuen Fähigkeit zu überprüfen.
Erfreulicherweise fing gleich ihre Informatikvorlesung bei Frau Schwarz an und lenkte sie ab. Nachdem die Vorlesung dann endlich vorbei war und sie sich auf den Weg zur Geometrieübung machte, wurden die Schmetterlinge wieder richtig munter.
Als sie den Raum betrat, war Sabine schon auf ihrem Platz. „Mensch Vici, du siehst ja echt fertig aus… aber glücklich. Was ist denn los?“, fragte sie verwundert.
„Ist das alles so offensichtlich?“ , dachte Victoria und antwortete nur matt: „Ach, ich hatte gestern Abend einen Anflug von Grippe. Jetzt bin ich nur froh, dass ich nach dieser Veranstaltung gleich wieder nach Hause in mein Bett kann.“
So gut war diese Ausrede wohl nicht gewesen, denn Sabine schaute sie zweifelnd an.
Glücklicherweise betraten aber schon ihre Freunde den Raum und Kerstin schwenkte eine Zeitung. „Moin, moin, ihr Zwei! Guck mal Sabine, ich habe dir heute Morgen mal den Anzeigenteil der «Kieler Nachrichten» für deine Wohnungssuche mitgebracht.“
Sabine freute sich. „Oh prima! Dann kann ich ja heute Mittag gleich mit dem Telefonieren anfangen.“
Sie schaute in die Runde. „Würde einer von euch nachher vielleicht mitkommen, wenn ich mir die ersten Wohnungen angucke?“
Falk bot sich an. „Ich begleite dich. Bestimmt kann ich dir beim Feilschen helfen, wenn es um die Übernahme von irgendwelchem Inventar geht.“
Sabine strahlte. „Ja, das wäre echt super!“
Felix murmelte nur kopfschüttelnd: „Der arme Vormieter tut mir jetzt schon leid. Der wird froh sein, wenn er Sabine seine Sachen schenken darf und nicht noch was dafür zahlen muss, damit sie seinen Krempel übernimmt.“
Victoria sah ihren Freunden müde zu und auch ohne sich zu konzentrieren, bemerkte sie nun, dass sich Professor Custos Portae dem Seminarraum näherte. Das machte die Schmetterlinge eindeutig nervös.
Er betrat den Raum und wie immer in den letzten Wochen lächelte er sie sogleich an. Seine warmen, braunen Augen machten sie langsam echt verrückt.
Sie lächelte zurück. Sollte sie ihn jetzt gleich fragen? „Nein, lieber später“, dachte sie nervös.
Die Übung begann und Victoria konnte sich gar nicht richtig auf die Geometrie konzentrieren.
Als dann endlich eine Pause eintrat, in der die Studenten die Tafel abschrieben, klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Jetzt oder nie! Sie nahm allen Mut zusammen und dachte: „Jaromir, ich habe jede Menge Fragen und würde mich gern mal in Ruhe mit dir unterhalten. Wäre das möglich?“ Da er sie in Gedanken geduzt und mit Vornamen angeredet hatte, tat sie das jetzt auch einfach.
Es dauerte ein paar Sekunden, in denen sie schon befürchtete, er hatte ihre Frage gar nicht bemerkt, doch dann hörte sie seine niedergeschlagene Stimme in ihrem Kopf: „Victoria, ich würde nichts lieber tun als das! Aber ich will dich nicht noch einmal täuschen. Ich bin nicht das, was alle hier in mir sehen. Die Antworten auf deine Fragen können dich in Gefahr bringen und das möchte ich auf keinen Fall!“
Unwillkürlich stiegen in Victoria die Empfindungen von Größe und Macht, kräftigen Schwingen und der Freude am Fliegen auf. Darunter mischten sich die Bilder der zwei schwarzen Drachen, die ein Wettrennen veranstalteten.
„Du weißt es also?“ , fragte er mehr als erstaunt.
Victoria konnte seine Hoffnung spüren, als sie antwortete: „Ich weiß eben gar nichts wirklich, aber ich habe so ein Gefühl. Und es passieren merkwürdige Dinge mit mir. Ich brauche endlich Antworten!“ Dann fügte sie noch trotzig hinzu: „… und ich bekomme dich sowieso nicht aus meinem Kopf.“
Sie hatte nicht gewusst, dass man auch mit der Gedankenstimme lachen konnte, aber genau das hörte sie jetzt von ihm: „Victoria, du bist unglaublich!“
Dann wurde er wieder
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