Haltlos
ernst. „Durch deine Vermutungen bist du ohnehin schon in Gefahr. Dann ist es wohl besser, wenn ich dir ein paar Dinge erkläre.“
„Wann und wo?“ , fragte sie, bevor er es sich wieder anders überlegen konnte.
Er dachte kurz nach und übermittelte ihr das Bild von einem großen, umgestürzten Baum.
Den kannte sie. Er stand mitten im Projensdorfer Gehölz.
„Wie ich sehe, erkennst du den Baum. Dann also heute Abend gegen acht.“
Er sah sie jetzt direkt an und Glück explodierte in ihrem Kopf.
Mittlerweile waren die meisten Studenten mit dem Abschreiben fertig und begannen, sich leise zu unterhalten.
Professor Custos Portae lächelte sie noch einmal an und machte dann mit der Geometrieübung weiter.
6. Antworten
Nach der Übung wollte sie eigentlich mit den anderen in die Mensa. Aber sie war viel zu aufgeregt und konnte jetzt bestimmt nichts essen. Die Schmetterlinge zappelten wie wild und sie fragte sich, wie sie die Zeit bis acht herum bringen sollte.
Dann fiel ihr ein, dass sie das Buch für Max am Mittwoch gar nicht gekauft hatte.
Sie beschloss zu Hause kurz etwas zu essen – bestimmt würde Frau Meier heute danach fragen! – und dann in das Antiquariat zu gehen.
In ihrer Wohnung angekommen, kochte sie eine doppelte Portion Nudeln mit Schinken-Sahne-Sauce und aß die Hälfte davon. Den Rest füllte sie auf einen Teller und stellte ihn in den Kühlschrank. Dann schrieb sie auf einen roten Notizzettel: «Für meinen liebsten Mitbewohner!» und klemmte diesen mit J’s Lieblings-Tuborgbier-Magneten an den Kühlschrank.
Schließlich schnappte sie sich ihre Jacke und ging zum Buchladen.
Als die Ladenglocke bimmelte, sah Frau Meier von dem Buch, in dem sie gerade gelesen hatte, auf und lächelte. „Hallo Victoria, geht es Ihnen besser?“
Sie nickte. „Ja Frau Meier, alles wieder gut!“
Die alte Frau grinste. „Und wann haben Sie heute das letzte Mal etwas gegessen?“
Jetzt grinste auch Victoria und antwortete triumphierend: „Gerade eben! Nudeln mit Schinken-Sahne-Sauce.“
Die alte Frau lachte gutmütig. „Na, dann bin ich ja beruhigt. Und was kann ich heute für Sie tun?“
Victoria lächelte. „Ich bin deswegen schon am Mittwoch hier gewesen. Ich möchte meinem Bruder zum Geburtstag eine Erstausgabe eines Agatha Christie Krimis schenken.“
Frau Meier zog «The Hollow – a Hercule Poirot Mystery» unter dem Ladentisch hervor und sagte: „Ich hatte mir so etwas schon gedacht.“
Nun strahlte Victoria. „Sie sind wirklich ein Schatz!“
Sie holte ihr Portemonnaie aus der Jackentasche und bezahlte. Als sie das Wechselgeld einsteckte, kam ihr eine Idee: „Darf ich Sie mal etwas fragen, Frau Meier?“
Die Ältere lächelte verschmitzt. „Immer raus damit, Kindchen!“
Victoria zögerte, fragte dann aber doch: „Wie gut kennen Sie Professor Custos Portae eigentlich?“
Mit dieser Frage schreckte sie die Schmetterlinge auf und es kribbelte wie verrückt in ihrem Bauch.
Frau Meier überlegte kurz. Dann sagte sie: „Ich kann Ihnen leider nicht sehr viel über den Professor sagen. Er ist ein guter Kunde, sehr gebildet, immer höflich und zuvorkommend. Ich muss zugeben, in den ersten Jahren war er mir etwas unheimlich, aber das hat mit der Zeit nachgelassen. Eines weiß ich jedoch mit Sicherheit: Er ist älter, als er scheint. Warum fragen Sie, Victoria?“
Die Jüngere wurde verlegen. „Naja, also er ist mein Professor und…“
„… und er ist ein gutaussehender Mann, nicht wahr?“, ergänzte die Ältere mit einem wissenden Lächeln.
Victoria seufzte ertappt. „Ach, Frau Meier, ich weiß…“
Die Ladenbesitzerin sah sie aufmunternd an. „So eine Schwärmerei ist das Vorrecht der Jugend, also schwärmen Sie ruhig, solange Sie noch so jung sind! Ich werde ihm nichts verraten.“ Bei diesen Worten zwinkerte Frau Meier ihr verschwörerisch zu.
Victoria lächelte erleichtert. „Vielen Dank Frau Meier – für alles.“
„Immer wieder gern, Kindchen. Immer wieder gern.“
Als Victoria den Laden verließ, war es vierzehn Uhr.
Jetzt wo die Anspannung etwas nachgelassen hatte, bemerkte sie, wie müde und abgeschlagen sie war. Sie beschloss, sich noch etwas hinzulegen; schließlich wollte sie gegen acht fit sein und nicht nur vor sich hin gähnen. Sie stellte den Wecker auf sechzehn Uhr und schlief auch schon, kaum dass sie sich hingelegt hatte.
Als der Wecker dann klingelte, konnte sie das Geräusch erst gar nicht richtig einordnen, so tief hatte sie geschlafen.
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