1714 - Der Cockpit-Dämon
»Und?«
Suko, der vor mir kniete und mir den Rücken zudrehte, beugte sich nach links, um einen Blick über die Bordwand zu werfen.
Ich blieb noch sitzen, sah, dass Suko nickte, dann mit den Fingern schnippte und so dafür sorgte, dass ich ebenfalls einen Blick auf die dünn gewordene Eisfläche warf.
Sie sah grünlich aus, an manchen Stellen auch dunkel. Das Eis bildete keine fest zusammengefügte Fläche mehr. Überall gab es Risse, die unterschiedlich breit waren, und in einen dieser Risse steckte Suko seine Ruderstange, um die Eisschollen auseinander zu schieben. Und nun war das zu sehen, was Suko zuerst entdeckt hatte.
Er gönnte mir einen knappen Blick. »Alles klar, John?«
Ich nickte. Es war nichts klar und trotzdem alles klar, denn auch ich hatte gesehen, was Suko so störte.
Zwischen den dünnen Eisschollen und fast zum Greifen nah war ein lebloser Körper an die Oberfläche gestiegen …
***
Es war ein Mann, und er war nicht nackt. Die Kleidung klebte an ihm wie ein grauer Anstrich, und selbst das Gesicht hob sich kaum davon ab. Der Tote lag auf dem Rücken. Die Arme waren leicht nach unten gesunken, und so schaukelte er auf den allmählich auslaufenden Wellen langsam hin und her.
»Ja«, sagte Suko, »das ist schon eine Überraschung.«
Er hatte damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Für mich war die eigentliche Überraschung unser Handeln, denn wir hatten uns da auf etwas eingelassen, ohne zu wissen, wie es enden würde.
Wir waren einem Telefonanruf gefolgt und in diese einsame Gegend gefahren, wo es diesen kleinen See gab. Im Sommer sicherlich ein wunderbares Wanderziel. Jetzt aber – im Winter – sah alles trist aus, und wir waren auch die einzigen Menschen weit und breit.
Tja, der Anruf!
Eine Stimme, die weder Suko noch ich kannten. Der Anrufer wusste jedoch über uns Bescheid, sonst hätte er uns nicht hergeschickt.
Wir hatten zuerst nicht fahren wollen, dann jedoch den Ernst und die Dringlichkeit in seiner Stimme gehört. Dass alles dringlich war und auch gefährlich werden konnte.
Wir hatten den Anrufer natürlich nach seinem Namen gefragt.
»Ihr kennt mich!«
Das war die Antwort gewesen. Bis jetzt hatten wir ihn nicht gesehen, aber wir hatten uns darauf eingelassen, waren hergefahren und hatten uns in das Boot gesetzt, um zum Bootshaus hinüber zu rudern. Es war eigentlich Unsinn, denn wir hätten uns auch am jenseitigen Ufer treffen können. Der Anrufer hatte aber darauf bestanden, dass wir über den See fuhren, und jetzt wussten wir auch, warum er das verlangt hatte.
Da das Gesicht unter Wasser lag, war es nicht besonders deutlich zu sehen. Irgendetwas störte mich jedoch. Ich wusste, dass diese Gestalt mir unbekannt war. Trotzdem hatte sie etwas an sich, das mich stutzig werden ließ und mich auch irgendwie nachdenklich machte.
Ich schaute auf den Toten. »Fällt dir was auf?«
»Nur, dass er tot ist. Wobei ich mich frage, ob er ertrunken ist. Oder man ihn schon tot hier in den blöden Teich geworfen hat.«
»Das meine ich nicht.«
»Sondern?«
»Gute Frage. Ich weiß es nicht, und doch kommt er mir irgendwie bekannt vor, ob du es glaubst oder nicht. Das hier ist der bekannte Unbekannte, wenn du so willst.«
»Da kann ich dir leider auch nicht helfen.«
»Dachte ich mir.«
Bisher hatte ich die Leiche im Blick gehabt, das änderte ich jetzt, richtete mich auf und ließ meinen Blick über den kleinen See schweifen, bis hin zum Ufer, das an allen Stellen gleich aussah.
Dichter Bewuchs, der auch im Winter kaum lichter geworden war. An einigen Stellen ragten ufernah Gräser und Schilfrohre aus dem Wasser. Beides war vom Eis niedergedrückt worden und würde sich wieder aufrichten, wenn das Eis getaut war.
Und das Eis bedeckte noch den Großteil des Sees. Die Schollen waren von unterschiedlicher Größe und Form. Überall sahen wir die breiten Risse. Es sah aus, als wäre die Eisfläche von harten Hammerschlägen zertrümmert worden.
Suko hielt die Leiche, die halb unter und halb über dem Eis lag, mit der Ruderstange fest.
»Was meinst du? Lassen wir den Toten hier im Wasser?«
»Ja.«
»Gut, das denke ich auch.« Suko zog die Ruderstange wieder hoch. »Mir gefällt sein Aussehen nicht, John.«
»Was willst du? Das haben Wasserleichen so an sich.«
»So meine ich das nicht.«
»Wie dann?«
Suko runzelte nachdenklich die Stirn. »Mir geht es wie dir. So fremd ist mir der Tote auch nicht. Ich will nicht sagen, dass wir ihn namentlich kennen müssten, aber da
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