Hand und Ring
seinen früheren Platz in der Nähe der Tür des Schlafzimmers ein, in welchem die Sterbende noch immer atmete. Byrd bemerkte, daß seine Gegenwart nicht erwünscht sei, und wollte sich eben zurückziehen, als der Coroner, welcher eine Zeitlang anderweitig beschäftigt gewesen, ins Zimmer trat und den Detektiv zu sich heranwinkte.
Kommen Sie, sagte er, ich brauche Ihre Hilfe.
Byrd warf einen fragenden Blick auf den Bezirksanwalt, der ihm beistimmend zunickte, und folgte dann dem Coroner die Treppe hinauf in ein Gemach, das dieser sorgfältig hinter ihnen verschloß.
Es ist mir von großem Wert, begann Doktor Tredwell, Sie hier an Ort und Stelle zu haben. Ich möchte Sie fragen, ob Sie willens wären, dem Gericht bei Entdeckung des Mörders behilflich zu sein?
Wie Sie wissen, bin ich nicht mein eigener Herr, entgegnete der junge Mann im Gefühl einer unbestimmten Abneigung, sich weiter in die rätselhafte Angelegenheit zu mischen. Ich habe die Befehle meiner Vorgesetzten zu befolgen; auch leidet das Geschäft, womit mich Herr Ferrisbetraut hat, keinen Aufschub, und ihm bin ich die erste Rücksicht schuldig.
Ferris ist ein verständiger Mann – er wird uns keinerlei Schwierigkeiten machen.
Aber mir fehlt die Erlaubnis aus Neuyork.
Die werde ich sofort auf telegraphischem Wege einholen.
Byrd zögerte noch immer. Mir scheint der Fall zu einfach, sagte er, um außergewöhnlicher Maßregeln zu bedürfen. Sollte nicht Ihre hiesige Ortspolizei dazu genügen? – Eine Frau ist bei hellem Tage erschlagen worden und der mutmaßliche Täter befindet sich bereits in Ihrer Gewalt.
So glauben Sie noch immer, daß der Hausierer den Mord begangen hat? fragte Tredwell ungeduldig über des andern gleichgültiges Wesen.
Jedenfalls bin ich überzeugt, daß der Täter nicht jener Mann war, den ich den ganzen Morgen bei der Gerichtsverhandlung gesehen und von dem ich kaum ein Auge verwandt habe.
Dann muß er ja eine ganz besondere Anziehungskraft für Sie besessen haben, bemerkte der Coroner mit leichtem Spott.
Es wird wohl auch noch durch andere Zeugen zu ermitteln sein, ob er den Saal verlassen hat oder nicht, war Byrds etwas gereizte Antwort. Er schien des fruchtlosen Streites über diese Angelegenheit herzlich überdrüssig.
Wie dem auch sei, entgegnete der Coroner auf ein Blatt Papier blickend, das er in der Hand hielt, ob der Bucklige ein Hexenmeister ist oder ein Mitschuldiger – ein Narr, der sein eigenes Geheimnis nicht zu wahren weiß, oder ein Verräter, der seine Werkzeuge preisgibt – jedenfalls wird diese Rechtssache keinen so einfachen Verlauf nehmen, wie Sie erwarteten. Es scheint in der Stadt nicht bekannt gewesen zu sein, daß Frau Klemmens einen Feind besaß, sie selbst war sich dessen aber wohl bewußt, wie ein angefangenerBrief beweist, den ich auf ihrem Schreibtisch gefunden habe. Möglich, daß jener Hausierer nur den Streich geführt hat, und der eigentliche Urheber der Mordtat anderswo zu suchen ist.
Des jungen Mannes Augen glänzten bei dieser Eröffnung; sein Berufsinteresse war augenscheinlich erwacht. Doch streckte er die Hand nicht nach dem Briefe aus, den ihm Tredwell hinhielt.
Wenn ich den Fall nicht übernehme, fügte er ausweichend, so ist es besser, ich mische mich nicht weiter hinein.
Aber Sie werden ihn übernehmen, entgegnete der andere, den der Widerstand, auf welchen er so unerwartet traf, nur noch mehr in dem Entschluß bestärkte, sich Byrds Mithilfe zu sichern. Jedenfalls verschreibe ich mir einen Detektiv aus Neuyork. Die in unserer Stadt verübte Mordtat darf nicht ungesühnt bleiben, und wir wollen uns die beste Hilfe verschaffen, welche zu haben ist. Schwerlich wird aber das Polizeiamt einen andern herschicken wollen, wenn Sie schon auf dem Platze sind.
Wer weiß, versetzte Byrd, ohne seine Zurückhaltung aufzugeben, es gibt mancherlei Geheimpolizisten in unserem Bureau; einer wird zu dieser Arbeit verwendet, ein anderer zu jener; vielleicht tauge ich gar nicht für dies Geschäft.
Das wird sich finden, erwiderte der unerschütterliche Tredwell, inzwischen lesen Sie hier den Brief!
Dieser bestimmten Aufforderung widersetzte sich der junge Mann nicht länger, er nahm das Schreiben und las:
»Liebe Emilie!
Warum ich Dir eigentlich heute schreibe, weiß ich nicht. Ich habe alle Hände voll zu tun, und der Morgen ist sonst nicht meine Zeit für schriftliche Herzensergüsse – aber mir ist heute so ängstlich zu Mute, und ich fühle mich recht verlassen. Es will mir gar
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