Hand und Ring
aufgedrückt; die Kluft zwischen uns läßt sich nicht überbrücken,sie trennt mich auf immer von Liebe und Freundschaft. Niemand, selbst derjenige nicht, um dessentwillen ich meineidig geworden bin, kann die Schmach von mir nehmen.
Das ist hart, meinte Gryce.
Ja, mein Geschick ist hart, war ihre Antwort.
Der kluge erfahrene Mann, der die Welt und das menschliche Herz so genau kannte, lächelte vor sich hin, doch erwiderte er nichts. Es schien ihm nun an der Zeit, Abschied zu nehmen.
Der große Rechtsfall von Sibley ist zu Ende, begann er, die Stadt hat von sich reden gemacht und kann nun ausruhen von all der Aufregung. Wir Detektivs haben es nicht so gut, für uns gibt es weder Ruhe noch Rast.
Sie wollen fort? fragte Imogen; auf ihrer Stirn lagerte eine düstere Wolke.
Ja, entgegnete er, aber ich verlasse den Ort nur ungern und nicht ohne Reue. Wir haben uns alle mehr oder weniger Vorwürfe zu machen. Trotz meiner redlichen Absicht kann ich mir nicht verhehlen, daß ich aller Wahrscheinlichkeit nach der Anstifter des Verbrechens gewesen bin. Hätte ich Orkutt nicht gezeigt, auf welche Weise ein Mann wie er den Mord ausführen könne, ohne Verdacht zu erregen, wer weiß, ob er den Mut zu der Missetat gehabt hätte. Glauben Sie mir, Fräulein Dare, der Gedanke liegt mir schwer auf der Seele.
Aber Sie konnten doch nicht wissen, daß einer der Zuhörer verbrecherische Absichten hegte, warf Imogen ein.
Ein Detektiv muß alles wissen. Er hat Gelegenheit genug, die Menschen kennen zu lernen. Aber mir soll so etwas nicht zum zweitenmal passieren. Selbst in der auserlesensten Gesellschaft werde ich mich nie wieder des längeren darüber verbreiten, wie man ungestraft ein Verbrechen begehen kann. Man läuft stets Gefahr, einem Orkutt zu begegnen.
Imogen ward bleich. Sprechen Sie nicht von ihm! rief sie, ich will vergessen, daß ein Mann, wie er, je gelebt hat.
Gryce lächelte zustimmend. Das ist das beste, was Sie tun können, sagte er. Fangen Sie ein neues Leben an, liebes Kind; fangen Sie ein neues Leben an!
Mit diesem väterlichen Rat nahm er Abschied, und sie sah sein kluges, freundliches Gesicht nie wieder.
Als Imogen allein war, fiel es ihr schwer aufs Herz, daß zwar Craik Mansell gerettet sei, aber ihr eigenes Lebensglück auf immer zerstört. Sie empfand das jetztschmerzlicher, als je zuvor. Im Geist sah sie Mansell umdrängt von Freunden und Bewunderern und meinte, im Gefühl ihrer eigenen Verlassenheit, es wäre fast besser gewesen, wenn die Krankheit ihrem traurigen, entehrten Leben ein Ende gemacht hätte.
Helene Richmond, die sie in Schwermut versunken sah, versuchte nicht, sie zu trösten. Doch horchte sie auf jedes Geräusch, und als sie draußen einen Schritt vernahm, stand sie auf und ging aus dem Zimmer; die Tür ließ sie offen stehen.
Imogen überließ sich nun ganz ihrer schmerzlichen Stimmung, bis ihre Augen, die so lange keine Tränen vergossen hatten, feucht wurden, und schwere Tropfen ihr an den Wimpern hingen. Da raffte sie sich auf und schaute sich schnell um, ob jemand sie beobachtete. Aber das Zimmer war leer und eben wollte sie wieder in den Stuhl zurücksinken, als ihr Blick auf die geöffnete Tür fiel und wie gebannt darauf haften blieb. Dort stand eine hohe, männliche Gestalt mit strahlenden Augen und zärtlichem Lächeln.
Nicht das dunkle Geschick, das sich ihr Trübsinn ausgemalt hatte, lag vor ihr: eine andere Zukunft erwartete sie, ein neues Leben im Sonnenschein der Liebe und des Glücks.
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