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Hannahs Briefe

Hannahs Briefe

Titel: Hannahs Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronaldo Wrobel
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lernen sollte. Nach einem Monat nahm Max eine Stelle in der Schuhmacherei eines Landsmanns an, und drei Jahre später kaufte er den Laden in der Rua Visconde de Itaúna.
    Trotz aller Widrigkeiten gab es in der Gemeinde Clubs, Bars, Bibliotheken und sogar rivalisierende Gruppen, mit Synagogen, in die die einen nicht gingen, und Zeitungen, die die anderen nicht lasen. In den Bars wurde nächtelang diskutiert, jeder wollte die Welt auf seine Weise retten. Auf den Straßen sah manRabbiner, Matronen, Klientelschiks , Heiratsvermittler und sogar die verhassten – »Polackinnen« genannten – Prostituierten. Zum ersten Mal begegnete Max sephardischen Juden mit ihren Bräuchen und Synagogen, die einen spanisch klingenden Dialekt namens Ladino sprachen. Erfahrene Kaufleute halfen den aschkenasischen fliegenden Händlern, indem sie ihnen die Stoffe in Kommission gaben, die diese von Tür zu Tür verkauften. Auch am äußersten Stadtrand lebten Juden, auf engstem Raum zusammengepfercht. Die Wohlhabenderen wohnten in gut gelegenen Apartments und verbrachten den Sommer in Strandhäusern in Ipanema und Leblon.
    Man kann sagen, dass die Praça Onze das Herz der Gemeinde bildete, aber sie »jüdisches Ghetto« zu nennen wäre gelogen. Es lebten Italiener dort, Portugiesen, Libanesen und sogar Brasilianer. Ganz in der Nähe lag der Bahnhof Central do Brasil, wo ein ständiges Kommen und Gehen herrschte. Dahinter erstreckten sich auf dem Morro da Providência Baracken und Macumba-Stellen, zwischen denen illegaler Handel betrieben wurde. Kinder unterschiedlichster Hautfarben liefen umher, spielten mit Hula-Hoop-Reifen oder Fußball und brüllten in ihrem Esperanto durcheinander. Auf dem Platz, nach dem das Viertel benannt war – in Gedenken an die Schlacht auf dem Riachuelo am 11. Juni 1865, während des Krieges gegen Paraguay –, gab es Bäume, Grünanlagen, einen Musikpavillon und einen Brunnen. Die Häuser ringsum waren in Pastelltönen gehalten. Grüne Bergeschlängelten sich am Horizont und warfen Schatten auf Täler und Flüsse, umgeben von Wolken, die sich an den Hängen verfingen und die Landschaft neu gestalteten, so dass man hier und da eine Kontur entdecken konnte, eine Schattierung, einen kurzen Moment voller Schönheit.
    Manchmal musste Max in schimmeligen Amtsstuben erscheinen, um seine Einwanderungspapiere zu erneuern, Fingerabdrücke zu geben, Formulare zu unterschreiben. Reine Formalitäten. Das Paradies hatte schließlich auch seine Regeln.
    * * *

    Buenos Aires, 3. Januar 1937
    Hannah,
    womit verdient Dein Verlobter seinen Lebensunterhalt? Das habe ich Dich schon mehrmals gefragt! Und komm mir nicht mit Ausflüchten wie »Das ist doch nicht wichtig« oder »Ich will nur meinen Frieden«. Und ob es wichtig ist! Falls Du es nicht weißt, der Frieden liegt nicht in der Armut. Du bist wunderschön, intelligent. Du hast einen Hollywoodstar verdient!
    Mag Josef ihn?
    Deine Dich liebende Guita
    *

    Rio de Janeiro, 21. Januar 1937
    Meine liebe Guita,
    warum soll ich von meinem Verlobten sprechen? Zwing mich nicht zu erklären, was ich mir selbst nicht erklären kann. José ist ein guter Mann, Punkt.
    Ich habe viel gearbeitet. Das Weihnachtsgeschäft lief phantastisch, und mein Chef überlegt, eine Filiale zu eröffnen. (…)
    Josef war eine Zeitlang deprimiert, aber jetzt geht es ihm besser.
    Küsse, Hannah
    *

    Buenos Aires, 15. Februar 1937
    Ach, Hannah, wenn ich Dich bloß besuchen könnte! Aber ich muss hier in Argentinien bei meinem Mann bleiben. Morgen fahren wir auf unsere Hazienda in der Nähe von Rosario. Die Mais- und Weizenernte waren schlechter als erwartet. Jayme spielt mit dem Gedanken, Land in São Paulo zu kaufen, er will in Kaffee und Orangen investieren.
    (…)
    Ich schwöre, dass ich versuche, Dich zu verstehen! Verwechsle nicht Anstand mit Armut, Hannah! Es gibt genauso anständige Reiche wie es unanständige Arme gibt! Ich weiß, dass Anstand für Dich unverzichtbar ist. Aber das Unverzichtbare ist nicht immer genug. Deswegen beantworte mir ein für alle Mal,was José macht, und hör auf mit diesem Versteckspiel!
    Deine Guita
    *
    Es ist leicht, zu urteilen, ohne zu verstehen, Guita.
    Schwer ist es, zu verstehen, ohne zu urteilen.
    Hannah
    * * *
    »Was wünschen Sie?«, fragte die Frau mit einem künstlichen Lächeln.
    Max hatte sämtliche Stoffe im Laden befühlt.
    »Könnte ich … Hannah sprechen?«
    »Einen Moment.« Die Frau war beruhigt und ging sie holen.
    Max wischte sich über die Stirn und

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