Hannahs Entscheidung
einer schicken weißen Motorjacht und nie enden wollenden Partys in tropischen Sommernächten. Natürlich war ihm bewusst, dass Hannah sich etwas anderes erhoffte, doch er rechnete fest damit, dass sie früher oder später zur Vernunft kam. Bisher war er immer clever ausgewichen oder hatte sie vertröstet, wenn das Gespräch auf Kinder kam. Aber mal ehrlich: Was war so toll daran, brüllenden Zwergen den Rotz von der Nase zu wischen und ihre stinkenden Windeln zu wechseln? Nein, er träumte von der ganz großen Karriere im Musikbusiness. Mit allem, was zum Leben eines Superstars dazugehörte. Geld, Ruhm und Glitter. War doch nicht seine Schuld, dass es zurzeit nicht besonders lief, oder? Wer hatte schon ahnen können, dass seine Bandkollegen nicht damit klarkamen, wenn er hin und wieder ein paar Tabletten einwarf?
Erneut stieß er einen Schmerzenslaut aus und wand sich, als eine glühende Kugel mit Feuerschweif, so fühlte es sich zumindest an, durch seine Eingeweide rollte. Seine Hand, die den Zigarettenstummel hielt, zitterte heftig. Ruhig atmen, Shane. Ein und aus, ein und aus. Endlich verebbte der Schmerz, zog sich zurück wie eine Brandungswelle vom Strand. Einen Moment verharrte Shane regungslos, während kalte Schweißperlen von seiner Stirn rannen. Er wünschte, Hannah wäre da. Er musste sie überreden, zurückzukommen.
Vielleicht war sie bei ihrer Freundin, dieser dauerlächelnden Helen untergetaucht, die ihm so mächtig auf den Sack ging? Die fromme Helene hatte er sie insgeheim getauft. Er würde sie später anrufen und ihr auf den Zahn fühlen. Nachdem er eine von seinen Glückspillen eingeworfen hatte. Ächzend richtete er sich halb auf, legte den qualmenden Stummel im Aschenbecher ab und kramte das Tütchen aus seiner Hosentasche. Mit dem letzten Schluck Jim Beam spülte er die Tablette hinunter. Bald würde er sich fantastisch fühlen und dann konnten sie ihn alle mal kreuzweise. Er würde Hannah nicht aufgeben. Niemals. Während seine Kippe im Aschenbecher erlosch, schloss Shane die Lider und wartete darauf, dass ihn der ersehnte Rausch erfasste, der ihn bis zum Ende der Welt und darüber hinaus katapultieren würde.
*
Hannah ignorierte das aufdringliche Klingeln. Sicher war es wieder Shane. Nein, sie würde sich nicht erneut auf ein Gespräch mit ihm einlassen. Es war alles gesagt. Sie fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn. Es wurde zunehmend stickiger und feuchter. Zu dumm, dass die Klimaanlage streikte. Sie würde sie reparieren lassen, sobald sie in Charlotte eintraf. Da das penetrante Klingeln nicht nachließ, griff sie schließlich genervt nach ihrem Telefon, um einen raschen Blick aufs Display zu werfen. Als sie sah, wer der Anrufer war, nahm sie das Gespräch mit einem Lächeln entgegen. »Helen!«
»Hannah, Gott sei Dank! Ich habe mir furchtbare Sorgen gemacht.« Die sonst so gefasste Helen Carlyle klang alarmiert. Bevor Hannah etwas entgegnen konnte, plapperte sie aufgeregt weiter. »Shane hat vorhin bei uns angerufen, wollte wissen, ob du bei uns untergekrochen bist – so drückte er sich aus. Er klang seltsam, irgendwie, als sei er nicht ganz beieinander. Sag, was ist los bei euch? Ist etwas passiert?«
Hannah hatte Helen vor sechs Jahren bei Walgreens kennengelernt, wo sie als Assistentin in der Apotheke beschäftigt gewesen war. Helen war dort mit undefinierbaren Bauchkrämpfen zusammengebrochen, die sich im Nachhinein als Zwillingsschwangerschaft entpuppt hatten. Hannah hatte die verängstigte junge Frau damals ins Krankenhaus begleitet, und aus dieser Begegnung war im Lauf der Jahre eine gute Freundschaft entstanden.
Hannah zögerte, Helen von dem Streit zu erzählen, denn die Freundin hatte eigentlich genug um die Ohren. Ihr Alltag war geprägt durch das Managen einer fünfköpfigen Familie mit drei äußerst lebhaften kleinen Kindern. Dazu kam noch die Sorge um ihren Ehemann Mike, der vor anderthalb Jahren die niederschmetternde Diagnose Leukämie erhalten hatte. Mike hatte bereits zwei Runden Chemo hinter sich und gab sich zuversichtlich, doch bisher war die verzweifelte Suche nach einem geeigneten Knochenmarkspender vergeblich gewesen. Hannah hatte die sonst so starke Helen das eine oder andere Mal um Fassung ringen sehen. Zuflucht bei der Freundin und ihrer Familie zu suchen, war Hannah nur flüchtig in den Sinn gekommen, doch den Gedanken hatte sie schnell verworfen. Helen hatte gegen ihre eigenen Dämonen zu kämpfen.
»Ich bin auf dem Weg nach
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