Hannahs Entscheidung
1. Kapitel
» W as zum Teufel hast du getan?«
»Rühr mich nie wieder an!« Hannah bebte vor Zorn und Furcht zugleich.
Ungläubig starrte Shane auf den Daumen seiner rechten Hand. Hellrotes Blut schoss aus der frischen, klaffenden Wunde.
»Verdammt …«, stieß er hinter zusammengepressten Zähnen hervor. Er warf ihr einen Blick zu, der zwischen Wut und Verachtung schwankte.
»Ich habe mich nur verteidigt.« Hannah atmete heftig, während sich ihre Finger fester um das Tranchiermesser schlossen. Sie wich zurück. »Du tust mir nie wieder weh!« Sein Schlag hatte sie mit voller Wucht getroffen und zur Seite taumeln lassen. Der Griff zum Messer war ein reiner Reflex gewesen.
»Das wirst du bereuen.« Shane spuckte aus. »Sieh dir die Sauerei an. Ich blute wie ein Schwein!«
»Es ist nur eine harmlose Fleischwunde.« Die ehemalige Krankenschwester in ihr hoffte, dass die Diagnose stimmte. »Ich wollte dich nicht verletzen.« Ihr Magen hob sich. Sie schluckte. »Du machst mir schreckliche Angst.«
»Angst?« Shane lachte verächtlich auf. »Du wirst noch erfahren, was Angst wirklich ist.« Drohend fixierte er sie, schnappte sich die Whiskeyflasche von der Anrichte und verließ schwankend die Küche.
Hannahs Herz hämmerte ungestüm. Shanes Worte klangen wie ein Echo nach. Wie ein grausames Versprechen. Sie starrte ihm hinterher, und ein eisiger Schauder kroch ihre Wirbelsäule hoch. Sie ließ das Messer fallen. Mit einem durchdringenden Klirren schlug es auf den Steinfliesen auf. Das glänzende Metall der beschmutzten Klinge blitzte im Schein der Küchenlampe, Blutspritzer benetzten den Boden und Hannahs Pyjamahosen.
Während Shane unter lautem Fluchen seine Wunde im Bad versorgte, zog sich Hannah in Windeseile im Schlafzimmer um. Sie zerrte die Reisetasche unter dem französischen Bett hervor, riss wahllos Kleidung aus ihrem Schrank und stopfte sie hinein.
Alle paar Sekunden verharrte sie, um nach verdächtigen Geräuschen zu lauschen, wobei ihr das Herz bis zum Hals klopfte. Knarrten die Dielen im Flur? Näherten sich Shanes Schritte? Einmal glaubte sie, seinen Atem in ihrem Nacken zu spüren und fuhr in Panik herum. Sie stieß sich die Schulter an einem Regal. Dann hörte sie ihn lautstark in der Küche rumoren. Gläser klirrten, zerschellten am Boden. Und dazwischen immer wieder seine wüsten Beschimpfungen. In ihrer Hast klemmte sie sich den Zeigefinger in der Nachttischschublade, doch sie verzichtete darauf, ihn zu kühlen, und beschloss, das wütende Pochen zu ignorieren.
Keine Sekunde länger als nötig wollte sie in diesem Haus bleiben! Mit dem Gepäck unter dem Arm eilte sie in den Korridor. Sie schnappte sich ihre Handtasche, eine Jacke vom Haken und die Autoschlüssel. Ihre Hände zitterten, als sie den Schlüssel ins Zündschloss des silberfarbenen Toyotas steckte. Immer wieder warf sie bange Blicke zur Eingangstür. Hoffentlich kam Shane nicht in letzter Minute herausgestürmt, um sie aufzuhalten. Sie sah ihn im Geiste vor sich stehen, eine blutbeschmierte Axt in der Hand schwingend, einen dämonischen Ausdruck auf seinem Gesicht. Sie war kurz vorm Durchdrehen. Fast hätte sie hysterisch aufgelacht. Sie legte den Rückwärtsgang ein und manövrierte den Wagen aus der Einfahrt. Mit quietschenden Reifen schoss der Camry davon.
In regelmäßigen Abständen blickte sie in den Rückspiegel, ständig in Angst, Shanes dunklen Pick-up hinter sich zu entdecken. Sie meinte, seinen nach Whiskey stinkenden Atem zu riechen. Eine Hand gegen ihren Brustkorb pressend, zwang sie sich, tief durchzuatmen.
Sie war in Sicherheit. Oder nicht? Ob er ihr folgte?
Erst, als sie die Brücke erreichte, die sie über den Ohio River brachte, und Marietta hinter sich ließ, begann sie, sich ein wenig zu entspannen. Warum hatte sie so lange an dieser Ehe festgehalten? Warum war sie nicht schon eher gegangen? Vielleicht wäre es dann nicht zum Äußersten gekommen. Hannah hatte sich nicht eingestehen wollen, dass sie gescheitert waren. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, Ellie ihren Irrtum zu beweisen. Aber ihre Großmutter sollte recht behalten, das war Hannah inzwischen schmerzlich klar. Fairview House, das wunderbare, efeubewachsene alte Haus in der Dilworth Road in Charlotte kam ihr in den Sinn, und eine jähe, tiefe Sehnsucht überfiel sie.
Schrilles Hupen brachte sie zurück in die Gegenwart. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich, als sie erschrocken das Lenkrad herumriss, um einem aufgebrachten
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