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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ihren Tischszenen, dass die diversen anderen Funktionen lahm gelegt werden.
    Wenn sie bloß dick sind, hat es sein Bewenden. Dicke Frauen sind wie Wolken am Himmel. Sie schweben dort und gehen mich nichts an. Wenn sie aber dick sind und jung und schön, dann ist das etwas anderes. Solche Frauen nötigen mich zu einer gewissen Haltung ihnen gegenüber. Das heißt, womöglich mit ihnen zu schlafen. Vermutlich ist es das, was mich so verwirrt. Mit einer Frau schlafen, wenn der Kopf nicht richtig funktioniert, das ist nicht einfach.
    Was aber keineswegs heißt, dass ich dicke Frauen hasse. Verwirrung und Hass sind nicht synonym. Ich hatte schon mit einer Reihe dicker, junger und schöner Frauen geschlafen, und im Ganzen gesehen war das wirklich keine schlechte Erfahrung. Wenn man die Verwirrung in die richtigen Bahnen lenkt, kann etwas Schönes dabei herauskommen, etwas, dessen man sonst nicht teilhaftig wird. Natürlich klappt das nicht immer. Sex ist ein sehr delikates Geschäft, etwas ganz anderes, als sonntags im Kaufhaus eine Thermoskanne zu erstehen. Frauen mögen gleichermaßen jung und schön und dick sein und doch in ihrer Fleischlichkeit sich unterscheiden; eine gewisse Art von Leibesfülle kann ich in die rechte Bahn lenken, eine andere dagegen stürzt mich in helle Verwirrung.
    Mit dicken Frauen ins Bett zu gehen war in diesem Sinne für mich eine Herausforderung. Es gibt mindestens ebenso viele und verschiedene Arten des Dickseins wie Arten des Sterbens.
    Das war in etwa, was ich dachte, als ich hinter der jungen, schönen und dicken Frau den Korridor entlanglief. Um den Kragen ihres modisch fein abgestimmten, rosafarbenen Kostüms hatte sie einen weißen Schal geschlungen. Von ihren angenehm fleischigen Ohrläppchen hingen viereckige Goldohrringe, die bei jedem Schritt aufblitzten wie Signalleuchten. Im Ganzen hielt sie sich für ihre Fülle leise und leicht. Natürlich konnte es sein, dass ein Korsett oder Ähnliches ihre Figur zusammenhielt, aber der Schwung ihrer Hüften war, selbst wenn man das mit einbezog, von angenehmer Festigkeit. Ich fand Gefallen an ihr. Ihre Dicke war von der Art, die ich mochte.
    Ich will mich nicht rechtfertigen, aber es ist nicht so, dass ich an fast jeder Frau Gefallen finde. Eher das Gegenteil ist der Fall. Und deshalb möchte ich, wenn ich denn schon einmal ein solches Gefallen hege, dieses Gefallen testen, will mich auf meine Weise vergewissern, ob es echt ist und, wenn ja, wie es funktioniert.
    Ich schloss also zu ihr auf und entschuldigte mich dafür, acht oder neun Minuten später als verabredet gekommen zu sein.
    »Ich wusste nicht, dass die Formalitäten am Eingang so viel Zeit kosten«, sagte ich. »Und dass der Aufzug so langsam ist. Ich war pünktlich zehn Minuten vor der Zeit am Gebäude.«
    ›Ich weiß‹, bedeutete sie, kurz nickend. Ihr Nacken duftete nach Eau de Parfum. Ein Duft, als stünde man an einem Sommermorgen in einem Melonenfeld. Der Duft befremdete mich irgendwie, ein seltsames, paradoxes und doch auch wehmütiges Gefühl, als ob zwei verschiedenartige Erinnerungen an einem mir unbekannten Ort verbunden wären. Ich komme öfters in solche Stimmungen. Und meistens werden sie von einem besonderen Duft ausgelöst. Warum das so ist, kann ich mir auch nicht erklären.
    »Ein ziemlich langer Korridor ist das«, sagte ich zu ihr, um ein Gespräch anzuknüpfen. Sie sah mich im Gehen an. Ich schätzte sie auf zwanzig, einundzwanzig. Sie hatte ausgeprägte Gesichtszüge, eine hohe Stirn und schöne Haut.
    Sie sah mich weiter an und sagte »Proust«. Das heißt, sie artikulierte nicht präzise »Proust«, sondern ich hatte lediglich den Eindruck, dass sie ihre Lippen in dieser Form bewegte. Nach wie vor fehlte der Ton. Nicht einmal ihr Atmen war zu hören. Es war gerade so, als ob sie von jenseits einer dicken Glasscheibe zu mir spräche.
    Proust?
    »Marcel Proust?«, erkundigte ich mich.
    Sie sah mich verwundert an. ›Proust‹, wiederholte sie. Ich gab’s auf, ließ mich auf meinen alten Platz zurückfallen und suchte intensiv nach Wörtern, die den Lippenbewegungen von ›Proust‹ entsprachen. »Prusten«, »Brust«, »Blues«; leise artikulierte ich ein bedeutungsloses Wort nach dem andern, aber keines passte exakt zu den Lippenbewegungen. Sie hatte ohne Zweifel ›Proust‹ gesagt. Unklar war mir allerdings, wo die Verbindung zwischen Proust und dem langen Korridor lag.
    Möglicherweise hatte sie Marcel Proust als Metapher für den langen Korridor

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