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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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angeführt. Aber selbst wenn dem so wäre, käme es als Gedanke doch allzu plötzlich und wäre vom Ausdruck her immerhin unhöflich. Hätte sie den langen Korridor als Metapher für Prousts Werke angeführt, gut, dem hätte ich folgen können. Aber umgekehrt? Das war rätselhaft.
    Ein langer Korridor wie Marcel Proust?
    Jedenfalls lief ich ihr den langen Korridor entlang hinterher. Er war wirklich lang. Wir bogen um tausend Ecken und stiegen kurze, fünf- oder sechsstufige Treppen hinauf und wieder hinab. Wir liefen Korridore für fünf oder sechs gewöhnliche Gebäude. Vielleicht gingen und kamen wir auch immer nur wie in einem Escherschen Vexierbild. Jedenfalls änderte sich, soviel wir auch liefen, die Umgebung nicht im Geringsten. Marmorboden, eiergelbe Wände, verrückte Zimmernummern und Holztüren mit Knäufen aus Edelstahl. Wir bekamen kein einziges Fenster zu Gesicht. Der Korridor hallte rhythmisch korrekt vom ewig gleichen Absatzgeklapper der Frau, und ich folgte in meinen Joggingschuhen, die ein Geräusch verursachten wie zäh sich auflösendes Gummi. Meine Schuhe schmatzten derart über Gebühr, dass ich fast befürchtete, die Gummisohlen seien tatsächlich dabei, sich aufzulösen. Da ich zum ersten Mal in meinem Leben in Joggingschuhen über Marmorboden lief, konnte ich nicht genau beurteilen, ob das Geräusch normal war oder eher abnorm. Ich sagte mir, dass es wohl zur Hälfte normal und zur anderen Hälfte abnorm sei. Ich hatte nämlich den Eindruck, dass hier alles in diesen Proportionen verwaltet wurde.
    Die Frau blieb abrupt stehen, und weil ich mich die ganze Zeit auf das Schmatzen meiner Schuhe konzentriert hatte, nahm ich es nicht wahr und prallte mit der Brust gegen ihren Rücken. Er war angenehm weich wie eine wohlgefüllte Regenwolke, und von ihrem Nacken ging der besagte Melonenduft aus. Sie war im Begriff, durch die Wucht des Aufpralls vornüber zu fallen, und deshalb fasste ich sie rasch mit beiden Händen um die Schultern und zog sie hoch.
    »Verzeihung«, entschuldigte ich mich. »Ich war ein bisschen in Gedanken.«
    Die Dicke sah mich leicht errötend an. Genau kann ich es nicht sagen, aber sie schien nicht böse zu sein. »Tazser«, sagte sie und lächelte unmerklich. Dann zuckte sie mit den Achseln und sagte »Sela«. Natürlich sagte sie das nicht wirklich, sondern bewegte nur, ich wiederhole mich, die Lippen in dieser Form.
    »Tazser?«, artikulierte ich, wie um es mir beizubringen. »Sela?«
    »Sela«, bestätigte sie.
    Das klang wie Türkisch, irgendwie; das Problem war nur, dass mir Türkisch noch nie zu Ohren gekommen war. Demnach war es also kein Türkisch. Langsam geriet ich durcheinander und beschloss deshalb, mich nicht weiter mit ihr zu unterhalten. Meine Lippenlesekünste bedurften noch der Entwicklung. Lippenlesen ist ein überaus heikler Prozess, nichts, was man so eben mal in einem Zweimonatskurs an der Volkshochschule lernen kann.
    Sie zog einen elektronischen Schlüssel aus ihrer Jackett-Tasche, ein kleines, flaches Oval, und presste ihn auf das Schloss der Tür mit dem Schild ›728‹. Knackend entriegelte es sich. Ein tolles Gerät.
    Sie öffnete. Dann sagte sie zu mir, auf der Schwelle stehend und die Tür mit einer Hand aufhaltend: »Somto, sela.«
    Ich nickte natürlich und trat ein.

2  DAS ENDE DER WELT
DIE GOLDENEN TIERE
    Wenn es Herbst wird, überzieht dicker goldener Pelz ihre Körper. Im wahrsten Sinne golden. Kein anderer Farbton hätte sich daruntermischen können. Ihr Gold kommt als Gold auf die Welt und existiert auf der Welt als Gold. Golden gefärbt ohne den geringsten Zwischenton sind sie da zwischen allem Himmel und aller Erde.
    Als ich in die Stadt kam – das war im Frühling –, trugen die Tiere kurzes Fell in unterschiedlichen Farben. Es gab schwarze, graubraune, helle und rotbraune. Bunt gescheckte waren auch dabei. In alle erdenklichen Fellfarben gehüllt strich das Vieh leise wie vom Wind zerstoben über die mit jungem Grün bedeckte Erde. Die Tiere waren schon fast beschaulich zu nennen, so still waren sie. Selbst ihr Atem ging leise wie Morgennebel. Lautlos fraßen sie das grüne Gras, und waren sie satt, lagen sie mit untergeschlagenen Läufen auf der Weide und nickten ein.
    Frühling und Sommer gingen vorüber, und als das Licht matte Klarheit bekam und die ersten Herbstwinde im stockenden Flusswasser kleine Wellen aufwarfen, machte sich der Wandel im Aussehen der Tiere bemerkbar. Die goldenen Stellen tauchten zunächst ganz

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