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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Eine breite Fährte, tage-, ja wochenlang lesbar, blieb hinter dem Wanderzug zurück. Hin und wieder dachte Harka noch an die Höhle am Waldhang, die nun schon weit hinter den Wandernden zurückgeblieben war. Niemand im Wanderzug konnte wissen oder auch nur ahnen, was jetzt bei der Höhle und im Wald vorging.
    Die »Bärenbande« wanderte bis zum Abend. Da sich der Aufbruch am Morgen durch den Sturm verzögert hatte, war man bis Sonnenuntergang nicht mehr als 35 Kilometer vorangekommen.
    Die Krieger wählten einen möglichst praktischen Rastplatz. Rechter Hand erstreckte sich eine Bodenwelle, deren Hang sich zu einem Gewässer hin abflachte. Von den sich leicht zu dem Gewässer neigenden Wiesen hatte die Feuchtigkeit bereits abzusickern begonnen, so daß man die Zelte nicht auf allzu nassem Boden aufzuschlagen brauchte. Der kleine Präriebach löschte den Durst von Mensch und Tier. Holz war nicht vorhanden. Man sah davon ab, Feuer zu machen. Nur der ausgehöhlte, im Innern von einem nie verlöschenden Feuer kohlende Stamm wurde mit seiner Glut auch in dieser Nacht sorgfältig gehütet. Alte Männer hatten ihn auf der Wanderung mitgetragen. Es war seit unvordenklicher Zeit Sitte, das wertvolle Feuer, das fast wie ein Heiligtum gehalten wurde, auf diese mühsame Weise mitzuführen.
    Die Rutschen wurden abgehängt und die Zelte aufgeschlagen. Wie die anderen, so schlug auch die Witwe des Weißen Büffel das gewohnte Zelt auf. Es war noch nicht darüber entschieden, welcher Familie sie mit ihrem Sohn zu Schutz und Nahrung zugeteilt werden sollte.
    Alle Menschen waren müde und schliefen nach einem kleinen Imbiß in ihren Decken schnell ein. Die Pferde knabberten noch am halbverfaulten Wintergras und suchten die ersten grünen Spitzen, die aus dem Boden kamen. Die Hundemeute hatte sich friedlich zusammengefunden; die Tiere lagen dicht beieinander. Einer wärmte den anderen.
    Der Himmel blieb klar, und obgleich der Wind sich gelegt hatte, war es in der Nacht bitter kalt. Einem großen Meer gleich lief die Prärie in Wellen bis zum fernen Horizont.
    Die Stunden vergingen.
    Es war schon weit nach Mitternacht, als Harka auffuhr. Ein heller, durchdringender Ruf hatte ihn geweckt. Der Kriegsruf war es nicht gewesen. Den Kriegsruf kannte jedes Kind im Traum und im Schlaf, so oft wurde das schnelle Erwachen auf diesen Ruf hin, das Aufspringen, Zu-den-Waffen-Greifen geübt. Der Kriegsruf war es also nicht gewesen, aber ein Warnruf. Harka trug wie der Vater das Messer in der Scheide an einer Schnur um den Hals; er hatte die Waffe heute in der Nacht nicht abgelegt. Bogen und Pfeile hatte er sich neben das Lager geordnet, und als er jetzt aufsprang, hielt er sie auch schon in der Hand. Draußen war Unruhe. Die Hunde jaulten zornig und ängstlich. Harka hörte das Gedränge und das Stampfen der
    Pferdeherde und lief aus dem Tipi. Mattotaupas Hengst, der vor dem Zelt angepflockt war, gebärdete sich wie toll und hätte sich gerne losgerissen.
    »Bleib bei dem Mustang!« rief der Häuptling seinem Jungen zu, und schon war er selbst in Richtung der Bodenwelle verschwunden, zu der die Wiesen westwärts anstiegen. Eine Anzahl Männer folgte ihm. Harka erkannte Sonnenregen und einige junge Burschen darunter, und er war sehr unzufrieden, daß er zurückbleiben und das Pferd beim Zelt hüten sollte, aber er mußte gehorchen. Aus dem Verhalten der Pferde, der Hunde und der Männer schloß Harka, daß sich hungrige Wölfe herangeschlichen haben mußten. Es konnten nicht die kleinen scheuen Kojoten sein, mit denen hätte die Hundemeute kurzen Prozeß gemacht. Angst hatten die halbwilden Hunde nur vor den großen grauweißen Präriewölfen. Harka versuchte, den Mustang des Vaters an dem ledernen Zügel zu halten, der um den Unterkiefer des Tieres befestigt war, aber die Aufregung des Hengstes, der sich als Leittier der Herde fühlte, war derart, daß Harka weder Pflock noch Zügel traute und sich schnell auf den Rücken des Tieres schwang, um wenigstens dabei zu sein, wenn es ausbrach, um es noch zu lenken. Reiten lernten die Dakotajungen vom vierten Jahre an, und Harka hatte bei Tschetan und seinem Vater eine gute Lehre durchgemacht. Jetzt mit elf Jahren war er schon imstande, sich auf dem Rücken eines wild eingefangenen Tieres zu halten. Er kannte den Charakter des kräftigen und entschlossenen Mustangs, auf dem er jetzt saß, und verstand seine Regungen. Dem Tier mußte zumute sein wie einem gefesselten Krieger, wenn Frauen und Kinder

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