Harka der Sohn des Haeuptlings
Wald entstand ein Windbruch. Harka schlang rasch den Lendengürtel um und weckte den jüngeren Bruder. Die Großmutter war schon auf; die Mutter holte eben das Mädchen Uinonah aus dem Schlaf. Harka blickte sich nach dem Vater um, aber dieser mußte das Zelt schon verlassen haben; er war nicht mehr zu sehen. Das Krachen und Kreischen verstärkte sich. Der Sturm schien ganze Waldhänge niederzubrechen.
Harka kroch auf allen vieren aus dem Tipi, um sicher zu sein, daß ihn der Sturm auf der Wiese nicht umreißen würde. In den Wipfeln rauschte es ringsum mit unheimlicher Macht, die Stämme bogen sich tief, und schon wieder schrie und dröhnte es von brechenden Stämmen weiter oben am Berg. Das Geräusch ging durch alle Nerven. Die Zelte wurden geschüttelt. Man konnte sie nicht einmal abschlagen, weil die Planen, von den Pflöcken gelöst, sofort vom Wind gepeitscht die Zeltstangen umgerissen und zerbrochen hätten.
Die Frauen, Kinder und Alten fanden sich in der Mitte der Wiese zusammen, wo die geringste Gefahr bestand. Dorthin drängten sich auch die Pferde und die Hunde. Die Männer und Burschen blieben bei den Zelten, um sofort anzufassen, wenn ein Zelt losgerissen werden sollte. Das Tipi war neben den Waffen der wertvollste Besitz jeder Familie und nicht leicht zu ersetzen, wenn es verlorenging. Denn die Büffel, aus deren Haut die Zeltplanen bestanden, mußten erst aufgespürt und gejagt werden, und das Trocknen und Gerben der Häute, die jede Nässe und Kälte auszuhalten und abzuhalten hatten, dauerte mit dem Gerbverfahren der Indianer sehr lange.
Harka wachte mit Tschetan zusammen bei den Zelten Mattotaupas und Sonnenregens; die beiden hielten die aus Büffelsehnen bestehenden Zeltschnüre und die Pflöcke fest, wo die Planen sich loszureißen drohten. Hin und wieder äugten sie zueinander hin. Der Sturm wehte nicht gleichmäßig. Zuweilen ließ er nach, dann kam wieder eine Bö. Die größte Gefahr war, daß Luftwirbel entstehen konnten. In der höheren Luftregion schien das schon der Fall zu sein. Harka beobachtete, wie ein ganzer Baum mit Wurzeln und dürrem Geäst vom Berg herab durch die Luft gewirbelt wurde; er konnte seine Bahn nur ein Stück weit im eigentümlich milchig gefärbten Luftraum verfolgen. Wahrscheinlich schleppte der Sturm seine Beute weit auf die Prärie hinaus.
Vom Berg polterte ein Felsblock, der von Eis und Tauwetter schon gelockert gewesen sein mochte und der jetzt vielleicht mit einem losgerissenen Baum zusammen in Bewegung gesetzt worden war. Er rollte und sprang, das gefahrdrohende Geräusch näherte sich der Waldlichtung mit den Zelten, und es blieb Menschen und Tieren nichts anderes übrig, als zu warten, wohin der Block treffen würde.
Mit einem dumpfen Krach blieb er genau zu Beginn der Wiese in der Erde stecken; mit einer Spitze und Kante hatte er sich festgebohrt. Alle atmeten auf. Endlich nahm das Rauschen und Brausen etwas ab, und der Druck auf die Zelte ließ allmählich nach. Die Tiere rührten sich wieder.
Mattotaupa sprang auf den großen Block, so daß ihn alle sehen konnten, und gab das Zeichen dafür, daß man essen und dann aufbrechen wolle.
Untschida, die Großmutter, gab im Zelt Mattotaupas ein karges Frühstück aus. Die Kinder und die Frauen erhielten aus kleinen Lederbeuteln zerriebene Beeren und Wurzeln, Mattotaupa aß eine Handvoll getrocknetes Büffelfleisch, das noch von einer Herbstjagd stammte. Das war alles, und es mußte den Hunger für den ganzen Tag stillen. Vor dem Abend würde es nichts mehr zu essen geben.
Die Großmutter Harkas, Mattotaupas Mutter, galt jetzt als die angesehenste Frau im Zeltdorf, da Mattotaupa nach dem Tod des Weißen Büffel bis zur Bestallung eines neuen Friedenshäuptlings der alleinige Anführer der Jägergruppe war. Sie ging hinaus und löste die erste Plane von den Stricken, so daß diese im immer noch stark wehenden Wind wie eine große Fahne donnerte. Das war das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch.
Alles war schnell zusammengepackt, denn die Jägerfamilien besaßen nicht viele Habseligkeiten. Die Frauen und Mädchen kletterten an den Zeltstangen hinauf und lösten die Sehnenstricke, die die Stangenspitzen zusammenhielten; bei dieser Arbeit half auch schon die zehnjährige Uinonah. Harka und seine Spielgefährten und Altersgenossen brachten die Pferde herbei. Den Lastpferden wurden die Rutschen angehängt. Zwischen je zwei Zeltstangen, die sich mit dem einen Ende über dem Pferderücken kreuzten und deren andere
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