Harrison, Kim - Hollows 7 - Blutkind
noch einmal zu.
»Mir geht’s prima!«, schrie ich und kämpfte die Tränen zu-rück. »Mir geht’s einfach super!« Aber meine Lippe pulsierte, wo jemand mich gebissen hatte; mein Körper bemühte sich, da-für zu sorgen, dass mein Geist sich erinnern konnte, aber ich ließ es einfach nicht zu. War es Kisten gewesen, der mich gebissen hatte? Sein Angreifer? Ich war Gott sei Dank nicht gebunden worden. Ivy hatte es bestätigt, und sie würde es wissen.
»Yeah, du siehst auch prima aus«, meinte Ford trocken. Ich zog meinen Mantel zu und meine Tasche höher auf die Schulter. Er lächelte über meinen Wutausbruch, und das machte mich nur noch wütender.
»Hör auf, mich auszulachen«, sagte ich. Sein Lächeln wurde breiter, und er nahm sein Amulett ab und steckte es weg, als wären wir fertig. »Und damit bin ich noch nicht fertig«, erklärte ich, als er anfing, die Bilder einzusammeln.
»Doch, bist du«, antwortete er, und ich runzelte die Stirn über die untypische Sicherheit in seiner Stimme. »Du bist wütend. Das ist besser als verwirrt oder in Trauer. Ich benutze ungern Klischees, aber jetzt kannst du nach vorne schauen.«
»Popeliges Psychogeschwätz«, spottete ich und schnappte mir die Beweismitteltüten, bevor er auch die einsammeln konnte. Aber er hatte Recht. Ich fühlte mich besser. Ich hatte mich an etwas erinnert. Vielleicht war die menschliche Wissenschaft doch genauso stark wie Hexenmagie. Vielleicht.
23
Ford nahm mir die Tüten aus der Hand. »Rede mit mir«, sagte er und stand vor mir wie ein Felsen.
Meine gute Laune wurde verdrängt von dem Wunsch, zu fliehen. Ich schnappte mir den Karton von der Kommode und schob mich an ihm vorbei. Ich musste hier raus. Ich musste Abstand zwischen mich und die Kratzspuren an der Wand bringen. Ich konnte das Negligé, das Kisten mir geschenkt hatte, niemals tragen, aber ich konnte es auch nicht hierlassen.
Ford sollte murren, so viel er wollte, dass ich Beweismittel vom Tatort entfernte. Beweise wofür? Dass Kisten mich geliebt hatte?
»Rachel«, sagte Ford, als er mir folgte. »Woran erinnerst du dich? Ich empfange nur Gefühle. Ich kann nicht zurückkommen und Edden erzählen, du hättest dich an nichts erinnert.«
»Klar kannst du das.« Ich ging mit schnellen Schritten und eingeschalteten Scheuklappen durch das Wohnzimmer.
»Nein, kann ich nicht«, sagte er und holte mich an der zerstörten Tür ein. »Ich bin ein grauenhafter Lügner.«
Mich schauderte, als ich über die Schwelle trat, aber vor mir lockte die kalte Helligkeit des Spätnachmittags, und ich schlurfte auf die Tür zu. »Lügen ist einfach«, meinte ich bitter.
»Erfinde einfach was und tu so, als wäre es real. Mache ich ständig.«
»Rachel.«
Ford streckte die Hand aus und hielt mich an der Brücke auf.
Ich war überrascht. Er trug Winterhandschuhe und hatte nur meinen Mantel berührt, aber es zeigte, wie aufgebracht er war.
Die Sonne glitzerte auf seinem schwarzen Haar, und er blinzelte in das helle Licht. Der kalte Wind bewegte seinen Pony. Ich musterte sein Gesicht, weil ich einen Grund dafür finden wollte, ihm zu erzählen, woran ich mich erinnert hatte und dafür, die Sie-gegen-uns-Einstellung zwischen Menschen und Inderlandern zu ignorieren und einfach seine Hilfe anzunehmen.
Hinter ihm erhob sich Cincinnati in all seiner abwechslungsrei-24
chen, gemütlichen Unordnung, die Straßen zu eng und die Hügel zu steil, und ich konnte die Sicherheit spüren, die so viele verbundene Leben ausstrahlten.
Ich senkte den Blick auf meine Füße und die zerfledderten Reste eines Blattes, das der Wind dort hatte fallen lassen. Fords Schultern entspannten sich, als er fühlte, wie meine Entschlossenheit ins Wanken kam. »Ich habe mich an dies und das erinnert«, erklärte ich schließlich. »Kistens Mörder hat meine Haare aus dem Zopf befreit, bevor ich die Tür aus dem Rahmen getreten habe. Ich bin diejenige, die die Kratzer neben dem Schrank hinterlassen hat, aber ich erinnere mich nur daran, dass ich sie gemacht habe, nicht vor wem ich … fliehen wollte.« Ich ballte eine Hand zur Faust und stopfte sie in die Manteltasche, den Karton unter den Arm geklemmt.
»Der Splat Ball gehört mir. Ich erinnere mich daran, ihn ab-geschossen zu haben.« Mein Hals war eng, als ich kurz zu ihm schaute und sein Mitgefühl erkannte. »Ich habe auf den anderen Vampir gezielt, nicht auf Kisten. Er hat … große Hände.«
Ein neuer Stich von Angst durchschoss mich, und ich verlor fast die
Weitere Kostenlose Bücher