Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
wenn das Gas einströmt. Hinterher werde ich rausgehen und den Reportern berichten, wie du gestorben bist. Ich werde ihnen erzählen, daß du am Ende geschrieen hast, daß du kein richtiger Mann warst.«
»Fuck you, Bosch.«
»Ja, fick mich. Bis dann, Bremmer.«
33
Nachdem Bremmer am Dienstag morgen dem Richter zur Anklageerhebung vorgeführt worden war, erhielt Bosch die Erlaubnis, sich den Rest der Woche freizunehmen, statt für alle angefallenen Überstunden Geld zu erhalten.
Die Zeit verbrachte er bei sich, erledigte ein paar aufgeschobene Arbeiten im Haus und entspannte sich. Er ersetzte das Holzgeländer an der hinteren Veranda mit ein paar neuen Balken aus wetterfester Eiche. Als er das Holz im Home Depot besorgte, kaufte er auch neue Kissen für die Stühle und die Liege auf der Veranda.
Er fing nach zweiwöchiger Pause wieder an, den Sportteil der Times zu lesen und studierte den geänderten Tabellenstand und die neuesten Statistiken der einzelnen Spieler.
Und ab und zu las er einen der vielen Artikel im Lokalteil der Times über den inzwischen im ganzen Land bekannten Jünger-Fall. Aber es interessierte ihn nicht wirklich. Er wußte schon zu viel darüber. Das einzige, was ihn an den Artikeln interessierte, waren die Details über Bremmers Leben. Die Times hatte einen Reporter nach Texas geschickt, wo Bremmer in einem Vorort von Austin aufgewachsen war. Der Journalist war mit einer Story zurückgekehrt, die er aus Familiengerichtsakten und dem Klatsch ehemaliger Nachbarn zusammengeschrieben hatte. Bremmer war allein von seiner Mutter großgezogen worden. Seinen Vater, einen Bluesmusiker, der ständig unterwegs gewesen war, hatte er höchstens ein- oder zweimal im Jahr gesehen. Die Mutter wurde von den Nachbarn als strikt und geradezu bösartig in bezug auf ihren Sohn beschrieben.
Mit dreizehn Jahren wurde er verdächtigt, jedoch nicht angeklagt, den Geräteschuppen eines Nachbarn in Brand gesteckt zu haben. Die Nachbarn hatten erzählt, daß seine Mutter ihn bestraft hätte, als wäre er es gewesen, und ihn für den Rest des Sommers nicht aus dem kleinen Haus gelassen hätte. Zu der Zeit habe es auch angefangen, daß in der Gegend des öfteren Haustiere verschwanden, allerdings habe man nie den jungen Bremmer deswegen in Verdacht gehabt. Wenigstens bis jetzt. Jetzt schienen die ehemaligen Nachbarn Bremmer für jedes Unglück, das sich in jenem Jahr ereignet hatte, verantwortlich machen zu wollen.
Ein Jahr nach dem Brand starb Bremmers Mutter an Alkoholismus, und der Junge wuchs auf einer Staatsfarm für Waisen auf, wo die Zöglinge weiße Hemden, blaue Krawatten und blaue Blazer zur Schule tragen mußten, selbst wenn die Temperaturen unerträglich waren. In dem Artikel stand, daß er für die Schülerzeitung der Farm schrieb und so seine Karriere als Journalist begann, die ihn nach Los Angeles bringen würde.
Seine Geschichte war Wasser auf die Mühle von Leuten wie Locke, die darüber nachdenken konnten, um zu spekulieren, wie das Kind Bremmer den Erwachsenen Bremmer zu seinen Taten getrieben hatte. Bosch machte es nur traurig. Allerdings starrte auch er lange das Foto der Mutter an, das die Times irgendwo ausgegraben hatte. Sie stand vor der Tür zu einem Haus im Ranchstil, das von der Sonne verwittert war. Eine Hand lag auf der Schulter des jungen Bremmers. Sie hatte hellblond gefärbtes Haar, eine provozierende Figur und einen großen Busen. Sie trug zuviel Make-up, dachte Bosch beim Betrachten.
Außer den Artikeln über Bremmer las er immer wieder eine Geschichte, die am Donnerstag im Lokalteil erschienen war. Es war der Bericht von Beatrice Fontenots Beerdigung. Sylvia wurde in dem Artikel zitiert, und es wurde beschrieben, wie die Lehrerin der Grant High-School aus einem Schulaufsatz des Mädchens bei der Gedenkfeier vorgelesen hatte. Ein Foto war abgedruckt, aber Sylvia war nicht drauf. Es zeigte das stoische, tränenüberströmte Gesicht von Beatrices Mutter bei der Beerdigung. Bosch legte die Seite des Lokalteils auf den Tisch neben der Liege und las sie jedesmal, wenn er sich hinsetzte.
Wenn er im Haus ruhelos wurde, fuhr er mit dem Auto – die Hügel hinunter und dann quer durchs Valley, ohne ein bestimmtes Ziel. Manchmal fuhr er vierzig Minuten, um an einem »In ›N‹ Out« einen Hamburger zu essen. Er war hier aufgewachsen, und es machte ihm Spaß, durch die Stadt zu fahren. Er kannte alle Straßen und Ecken. Am Donnerstag und am Freitag morgen kam er bei seinen Fahrten
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