Harry Potter und der Gefangene von Askaban
mächtiger.«
»Aber wer hat ihn heraufbeschworen?«
Harry antwortete nicht. Er dachte an die Gestalt, die er auf der anderen Seite des Sees gesehen hatte. Er wusste schon, an wen er dabei dachte … aber wie konnte das nur möglich sein?
»Hast du nicht gesehen, wie er aussah?«, fragte Hermine begierig. »War es einer der Lehrer?«
»Nein«, sagte Harry. »Es war kein Lehrer.«
»Aber es muss ein sehr mächtiger Zauberer gewesen sein, wenn er all diese Dementoren verjagen konnte … wenn der Patronus so leuchtete, hat er ihn nicht beschienen? Konntest du nicht sehen –?«
»Doch, ich hab ihn gesehen«, sagte Harry langsam. »Aber … vielleicht hab ich’s mir nur eingebildet … ich konnte nicht klar denken … gleich danach bin ich ohnmächtig geworden …«
»Wer, glaubst du, war es?«
»Ich glaube –«, Harry schluckte. Er wusste, wie seltsam dies klingen würde. »Ich glaube, es war mein Vater.«
Harry blickte auf und sah, dass Hermine den Mund weit aufgerissen hatte. Sie starrte ihn mit einer Mischung aus Entsetzen und Mitleid an.
»Harry, dein Dad ist – nun ja – tot«, sagte sie leise.
»Das weiß ich«, sagte Harry rasch.
»Glaubst du, es war ein Geist?«
»Ich weiß nicht … nein … er schien aus Fleisch und Blut …«
»Aber dann –«
»Vielleicht hab ich mir alles nur eingebildet«, sagte Harry. »Aber … was ich gesehen habe … sah wie Dad aus … ich hab Fotos von ihm …«
Hermine sah ihn immer noch an, als machte sie sich Sorgen um seinen Verstand.
»Ich weiß, das klingt verrückt«, sagte Harry mit tonloser Stimme. Er sah sich nach dem Hippogreif um, der gerade den Schnabel in die Erde bohrte und offenbar nach Würmern suchte. Aber im Grunde sah er Seidenschnabel gar nicht an.
Er dachte über seinen Vater nach und über dessen drei älteste Freunde … Moony, Wurmschwanz, Tatze und Krone … waren sie alle vier heute Nacht auf dem Gelände? Wurmschwanz war diesen Abend wieder aufgetaucht, wo doch alle gedacht hatten, er sei tot … war es denn unmöglich, dass sein Vater dasselbe getan hatte? Hatte er drüben am anderen Ufer wirklich jemanden gesehen? Die Gestalt war zu weit weg und zu verschwommen … doch einen Moment lang war er sich sicher gewesen, bevor er ohnmächtig wurde …
Eine leichte Brise ließ die Blätter über ihnen rascheln. Hinter den Wolken, die über den Himmel zogen, kam der Mond zum Vorschein und verschwand wieder. Hermine saß da, unverwandt auf die Weide blickend, und wartete.
Und dann, endlich, nach über einer Stunde …
»Da kommen wir!«, flüsterte Hermine. Auch Seidenschnabel hob den Kopf. Sie sahen Lupin, Ron und Pettigrew mühsam aus dem Erdloch klettern, gefolgt von dem bewusstlosen Snape, der merkwürdig senkrecht dahinschwebte. Schließlich kamen Harry, Hermine und Black. Sie alle machten sich auf den Weg zum Schloss.
Harrys Herz begann sehr schnell zu pochen. Er sah zum Himmel. Jeden Moment würde diese Wolke weiterziehen und der Mond würde zum Vorschein kommen …
»Harry«, murmelte Hermine, als ob sie genau wüsste, was er dachte, »wir müssen hierbleiben. Wir dürfen nicht gesehen werden. Wir können nichts tun …«
»Also lassen wir Pettigrew einfach wieder entkommen …«, sagte Harry leise.
»Wie willst du denn in der Dunkelheit eine Ratte finden?«, fauchte Hermine. »Wir können nichts tun! Wir sind zurückgekommen, um Sirius zu helfen, und wir sollten jetzt nichts anderes tun!«
»Ist ja gut!«
Der Mond trat hinter der Wolke hervor. Sie sahen, wie die kleinen Figuren auf dem Gras innehielten. Dann bewegte sich etwas.
»Das ist Lupin«, flüsterte Hermine, »er verwandelt sich.«
»Hermine!«, sagte Harry plötzlich, »wir müssen fort von hier!«
»Das geht nicht, ich erklär dir doch ständig –«
»– dass wir uns nicht einmischen sollen! Ja doch, aber Lupin wird in den Wald rennen, direkt auf uns zu!«
Hermine riss die Augen auf.
»Schnell!«, stöhnte sie und sprang zu Seidenschnabel, um ihn loszubinden. »Schnell! Wo sollen wir denn hin? Wo sollen wir uns verstecken, die Dementoren werden jeden Moment kommen!«
»Zurück zu Hagrid!«, sagte Harry. »Die Hütte ist leer – komm schon!«
Sie rannten, so schnell sie konnten, und Seidenschnabel setzte in langen Sprüngen hinter ihnen her. Schon hörten sie den Werwolf hinter sich heulen …
Sie konnten die Hütte jetzt sehen; Harry rutschte zur Tür, stieß sie auf und Hermine und Seidenschnabel flitzten an ihm vorbei. Harry stürzte ihnen nach und
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