Harry Potter und der Halbblutprinz
sie hinter Hufflepuff Dritter werden, und wenn sie noch höher verloren, würden sie auf dem vierten Platz landen, und niemand, überlegte Harry, würde ihn jemals vergessen lassen, dass er es gewesen war, der die Gryffindors als Kapitän zum ersten Mal seit zweihundert Jahren mit einer Niederlage ans Tabellenende geführt hatte.
Im Vorfeld dieses entscheidenden Spiels gab es das übliche Geplänkel: Die Schüler der rivalisierenden Häuser versuchten die gegnerischen Mannschaften in den Korridoren einzuschüchtern; gehässige Sprechchöre über einzelne Spieler wurden laut geübt, wenn sie vorübergingen; die Spieler selbst stolzierten herum und genossen all die Aufmerksamkeit, oder sie stürzten zwischen den Unterrichtsstunden aufs Klo und übergaben sich. Irgendwie hatte sich das Spiel in Harrys Kopf fest mit dem Erfolg oder dem Scheitern seiner Pläne mit Ginny verwoben. Das Gefühl ließ ihn nicht los, dass der ausgelassene Jubel und eine nette laute Party nach einem Spiel, das sie mit mehr als dreihundert Punkten Abstand gewonnen hatten, vielleicht genauso gut wirken würden wie ein herzhafter Schluck Felix Felicis.
Inmitten all seiner Vorbereitungen hatte Harry sein anderes Ziel nicht vergessen: herauszufinden, was Malfoy im Raum der Wünsche ausheckte. Er suchte unentwegt die Karte des Rumtreibers ab, und da er Malfoy oft nicht darauf entdecken konnte, kam er zu dem Schluss, dass er immer noch viel Zeit dort verbrachte. Obwohl Harry allmählich die Hoffnung verlor, dass er es jemals schaffen würde, in den Raum zu gelangen, versuchte er es, wann immer er in der Nähe war, doch wie er seinen Wunsch auch formulierte, die Wand blieb beharrlich türlos.
Wenige Tage vor dem Spiel gegen Ravenclaw befand sich Harry allein auf dem Weg vom Gemeinschaftsraum hinunter zum Abendessen, da Ron ins nächste Klo gestürmt war, um sich wieder einmal zu übergeben, und Hermine eilends verschwunden war, um Professor Vektor wegen eines Fehlers aufzusuchen, den sie möglicherweise in ihrem letzten Arithmantikaufsatz gemacht hatte. Eher aus Gewohnheit machte Harry seinen üblichen Umweg durch den Korridor im siebten Stock und überprüfte unterwegs die Karte des Rumtreibers. Im ersten Moment konnte er Malfoy nirgends finden und nahm an, dass er tatsächlich wieder im Raum der Wünsche sein musste, doch dann sah er Malfoys winziges beschriftetes Pünktchen in einem Jungenklo ein Stockwerk tiefer, nicht in Gesellschaft von Crabbe und Goyle, sondern bei der Maulenden Myrte.
Harry hörte erst auf, diese unwahrscheinliche Zusammenstellung anzustarren, als er geradewegs gegen eine Rüstung stieß. Das laute Scheppern riss ihn aus seinen Träumen; er machte sich rasch davon, aus Furcht, dass Filch auftauchen könnte, jagte die Marmortreppe hinunter und den Korridor einen Stock tiefer entlang. Als er das Klo erreicht hatte, legte er sein Ohr an die Tür. Er konnte nichts hören. Ganz leise drückte er die Tür auf.
Draco Malfoy stand mit dem Rücken zur Tür, die Hände seitlich an das Waschbecken geklammert, den weißblonden Kopf vornübergebeugt.
»Nicht doch«, ertönte die mitleidige Stimme der Maulenden Myrte aus einer der Kabinen. »Nicht doch … sag mir, was dir fehlt … ich kann dir helfen …«
»Keiner kann mir helfen«, sagte Malfoy. Sein ganzer Körper bebte. »Ich kann es nicht tun … ich kann nicht … es wird nicht funktionieren … und wenn ich es nicht bald mache … dann will er mich umbringen …«
Und mit einem gewaltigen Schreck, der ihm eiskalt in die Glieder fuhr, wurde Harry bewusst, dass Malfoy weinte – tatsächlich weinte –, Tränen strömten über sein bleiches Gesicht und fielen in das schmutzige Becken. Malfoy keuchte und schluckte, und dann blickte er hoch in den gesprungenen Spiegel und erschauderte heftig, als er Harry sah, der ihn über seine Schulter anstarrte.
Malfoy wirbelte herum und zog seinen Zauberstab. Instinktiv zückte Harry seinen eigenen. Malfoys Fluch verfehlte Harry um Zentimeter und ließ die Lampe an der Wand neben ihm zersplittern; Harry warf sich zur Seite, dachte Levicorpus! und schnippte mit seinem Zauberstab, doch Malfoy blockierte den Fluch und hob seinen Zauberstab, um einen weiteren –
»Nein! Nein! Hört auf damit!«, kreischte die Maulende Myrte und ihre Stimme hallte laut durch den gefliesten Raum. »Aufhören! AUFHÖREN !«
Es gab einen lauten Knall und der Abfalleimer hinter Harry explodierte; Harry versuchte einen Beinklammer-Fluch, der an der Wand hinter
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