Harry Potter und der Stein der Weisen
Es war eine sehr merkwürdige Uhr. Sie hatte zwölf Zeiger, aber keine Ziffern; stattdessen drehten sich kleine Planeten in ihrem Rund. Dumbledore jedenfalls musste diese Uhr etwas mitteilen, denn er steckte sie zurück in die Tasche und sagte: »Hagrid verspätet sich. Übrigens nehme ich an, er hat Ihnen erzählt, dass ich hierherkommen würde?«
»Ja«, sagte Professor McGonagall. »Und ich nehme nicht an, dass Sie mir sagen werden, warum Sie ausgerechnet hier sind?«
»Ich bin gekommen, um Harry zu seiner Tante und seinem Onkel zu bringen. Sie sind die Einzigen aus der Familie, die ihm noch geblieben sind.«
»Sie meinen doch nicht – Sie können einfach nicht die Leute meinen, die hier wohnen?«, rief Professor McGonagall, sprang auf und deutete auf Nummer 4. »Dumbledore – das geht nicht. Ich habe sie den ganzen Tag beobachtet. Sie könnten keine zwei Menschen finden, die uns weniger ähneln. Und sie haben diesen Jungen – ich habe gesehen, wie er seine Mutter den ganzen Weg die Straße entlang gequält und nach Süßigkeiten geschrien hat. Harry Potter und hier leben?«
»Das ist der beste Platz für ihn«, sagte Dumbledore bestimmt. »Onkel und Tante werden ihm alles erklären können, wenn er älter ist. Ich habe ihnen einen Brief geschrieben.«
»Einen Brief?«, wiederholte Professor McGonagall mit erlahmender Stimme und setzte sich wieder auf die Mauer. »Wirklich, Dumbledore, glauben Sie, dass Sie all das in einem Brief erklären können? Diese Leute werden ihn nie verstehen! Er wird berühmt werden – eine Legende –, es würde mich nicht wundern, wenn der heutige Tag in Zukunft Harry-Potter-Tag heißt – ganze Bücher wird man über Harry schreiben – jedes Kind in unserer Welt wird seinen Namen kennen!«
»Genau«, sagte Dumbledore und blickte sehr ernst über die Halbmonde seiner Lesebrille. »Das würde reichen, um jedem Jungen den Kopf zu verdrehen. Berühmt, bevor er gehen und sprechen kann! Berühmt für etwas, an das er sich nicht einmal erinnern wird! Sehen Sie nicht, wie viel besser es für ihn wäre, wenn er weit weg von alledem aufwächst, bis er bereit ist, es zu begreifen?«
Professor McGonagall öffnete den Mund, änderte ihre Meinung, schluckte und sagte: »Ja – ja, Sie haben Recht, natürlich. Doch wie kommt der Junge hierher, Dumbledore?« Plötzlich musterte sie seinen Umhang, als dachte sie, er verstecke vielleicht den kleinen Harry darunter.
»Hagrid bringt ihn mit.«
»Sie halten es für – klug , Hagrid etwas so Wichtiges anzuvertrauen?«
»Ich würde Hagrid mein Leben anvertrauen«, sagte Dumbledore.
»Ich behaupte nicht, dass sein Herz nicht am rechten Fleck ist«, grummelte Professor McGonagall, »doch Sie können nicht so tun, als ob er besonders umsichtig wäre. Er neigt dazu – was war das?«
Ein tiefes Brummen hatte die Stille um sie her zerbrochen. Immer lauter wurde es, und sie schauten links und rechts die Straße hinunter, ob vielleicht ein Scheinwerfer auftauchte. Der Lärm schwoll zu einem Dröhnen an, und als sie beide zum Himmel blickten – da fiel ein riesiges Motorrad aus den Lüften und landete auf der Straße vor ihnen.
Schon das Motorrad war gewaltig, doch nichts im Vergleich zu dem Mann, der breitbeinig darauf saß. Er war fast zweimal so groß wie ein gewöhnlicher Mann und mindestens fünfmal so breit. Er sah einfach verboten dick aus, und so wild – Haar und Bart verdeckten mit langen Strähnen fast sein ganzes Gesicht, er hatte Hände, so groß wie Mülleimerdeckel, und in den Lederstiefeln steckten Füße wie Delphinbabys. In seinen ausladenden, muskelbepackten Armen hielt er ein Bündel aus Leintüchern.
»Hagrid«, sagte Dumbledore mit erleichterter Stimme. »Endlich. Und wo hast du dieses Motorrad her?«
»Hab es geborgt, Professor Dumbledore, Sir«, sagte der Riese und kletterte vorsichtig von seinem Motorrad. »Der junge Sirius Black hat es mir geliehen. Ich hab ihn, Sir.«
»Keine Probleme?«
»Nein, Sir – das Haus war fast zerstört, aber ich hab ihn gerade noch herausholen können, bevor die Muggel angeschwirrt kamen. Er ist eingeschlafen, als wir über Bristol flogen.«
Dumbledore und Professor McGonagall neigten ihre Köpfe über das Leintuchbündel. Darin steckte, gerade eben zu sehen, ein kleiner Junge, fast noch ein Baby, in tiefem Schlaf. Unter einem Büschel rabenschwarzen Haares auf der Stirn konnten sie einen merkwürdigen Schnitt erkennen, der aussah wie ein Blitz.
»Ist es das, wo –?«, flüsterte
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