Harry Potter und die Kammer des Schreckens
lieber heute Nacht noch schließen. Wenn er auch nur einen Tag weg ist, gibt es einen neuen Angriff.«
Fang begann heulend an der geschlossenen Tür zu kratzen.
Aragog
Langsam zog der Sommer über die Ländereien des Schlosses. Himmel und See färbten sich hellblau und in den Gewächshäusern trieben Blumen kohlkopfgroße Blüten aus. Doch ohne Hagrid, den Harry oft vom Fenster aus beobachtet hatte, wie er mit Fang auf den Fersen umherschlenderte, kam es ihm vor, als stimmte an diesem Bild etwas nicht. Und nicht besser war es drinnen im Schloss, wo die Dinge so fürchterlich falsch liefen.
Harry und Ron hatten versucht, Hermine zu besuchen, doch Besuche im Krankenflügel waren jetzt verboten.
»Wir gehen kein Risiko mehr ein«, erklärte ihnen Madam Pomfrey mit strenger Miene durch einen Spalt in der Hospitaltür. »Nein, tut mir leid, es könnte durchaus sein, dass der Angreifer zurückkommt, um seine Opfer endgültig zu erledigen …«
Seit Dumbledore fort war, hatte sich eine nie gekannte Furcht im Schloss breitgemacht, und die Sonne, die die Schlossmauern draußen erwärmte, schien an den Doppelfenstern Halt zu machen. In der Schule sah man kaum ein Gesicht, das nicht besorgt und angespannt wirkte, und alles Lachen, das durch die Gänge hallte, klang schrill und unnatürlich und erstarb rasch.
Harry rief sich immer wieder die letzten Worte Dumbledores in Erinnerung: »Ich werde die Schule erst dann endgültig verlassen, wenn mir hier keiner mehr die Treue hält … Wer immer in Hogwarts um Hilfe bittet, wird sie auch bekommen.« Doch was nützten diese Worte? Wen sollten sie denn um Hilfe rufen, wenn alle andern genauso ratlos und verängstigt waren?
Hagrids Fingerzeig auf die Spinnen war viel leichter zu verstehen – das Problem war nur, dass im Schloss offenbar keine einzige Spinne mehr übrig geblieben war, der sie hätten folgen können. Wo immer Harry auch hinging, hielt er Ausschau nach einer Spinne, und Ron half ihm dabei (wenn auch eher widerstrebend). Natürlich störte sie das Verbot, allein umherzuwandern, und die anderen Gryffindors waren immer dabei. Wie eine Schafherde wurden sie von den Lehrern von Klassenzimmer zu Klassenzimmer geführt, und die meisten schienen froh darüber zu sein, doch Harry fand es sehr lästig.
Einer jedoch schien die Stimmung aus Angst und Misstrauen von ganzem Herzen zu genießen. Draco Malfoy stolzierte in der Schule herum, als ob er gerade zum Schulsprecher ernannt worden wäre. Worüber Draco sich so freute, wurde Harry erst gut zwei Wochen nach Dumbledores und Hagrids Fortgang klar. Im Zaubertrankunterricht, wo er eine Reihe hinter Malfoy saß, hörte er ihn vor Crabbe und Goyle prahlen.
»Ich hab immer gewusst, dass Vater es schaffen wird, Dumbledore aus dem Weg zu räumen«, sagte er, ohne sich groß anzustrengen, leise zu sprechen. »Hab euch ja gesagt, seiner Meinung nach ist Dumbledore der schlechteste Schulleiter, den die Schule je gehabt hat. Vielleicht kriegen wir jetzt einen anständigen Rektor. Jemand, der gar nicht will, dass die Kammer des Schreckens geschlossen wird. McGonagall wird nicht lange bleiben, sie ist nur eingesprungen …«
Snape rauschte an Harry vorbei, ohne ein Wort über Hermines leeren Platz und Kessel zu verlieren.
»Sir«, sagte Malfoy laut, »Sir, warum bewerben Sie sich nicht um das Amt des Schulleiters?«
»Schon gut, Malfoy«, sagte Snape, auch wenn er ein dünnlippiges Lächeln nicht unterdrücken konnte. »Professor Dumbledore ist von den Schulräten nur beurlaubt worden, ich würde sagen, er wird schon bald wieder bei uns sein.«
»Ja, schon«, sagte Malfoy hämisch grinsend. »Ich bin mir aber sicher, mein Vater würde für Sie stimmen, Sir, wenn Sie sich um die Stelle bewerben – ich jedenfalls werde Vater sagen, dass Sie der beste Lehrer an der Schule sind, Sir –«
Mit einem gekünstelten Lächeln rauschte Snape davon. Glücklicherweise bemerkte er Seamus Finnigan nicht, der so tat, als erbreche er sich in seinen Kessel.
»Es überrascht mich doch, dass die Schlammblüter inzwischen nicht alle die Koffer gepackt haben«, fuhr Malfoy fort. »Wette fünf Galleonen, dass der nächste stirbt. Schade, dass es nicht die Granger war –«
In diesem Moment läutete die Glocke und das war ein Glück. Denn bei Malfoys letzten Worten war Ron aufgesprungen, und weil jetzt alle hastig ihre Taschen und Bücher zusammenkramten, fiel nicht weiter auf, dass er sich auf Malfoy stürzen wollte.
»Lasst mich zu dem Kerl«,
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