Harry Potter und die Kammer des Schreckens
Sonnenuntergang noch nie los gewesen. Lehrer, Vertrauensschüler und Geister streiften paarweise durch die Gänge und hielten Ausschau nach verdächtigen Vorkommnissen. Zwar waren sie unsichtbar, aber ihr Tarnumhang sorgte nicht dafür, dass sie keine Geräusche machten, und es gab einen besonders brenzligen Moment, als Ron sich den Zeh stieß. Nur ein paar Meter entfernt stand Snape Wache. Glücklicherweise nieste Snape in fast demselben Augenblick, in dem Ron fluchte. Als sie das eichene Schlosstor erreichten, fiel ihnen ein Stein vom Herzen. Langsam schoben sie es auf.
Es war eine klare, sternenhelle Nacht. Sie rannten so schnell sie konnten hinüber zu den erleuchteten Fenstern von Hagrids Hütte und streiften den Umhang erst ab, als sie vor seiner Tür standen.
Sekunden nachdem sie geklopft hatten, öffnete Hagrid die Tür. Sie starrten ihm ins Gesicht. Hagrid hielt eine Armbrust auf sie gerichtet, und Fang, sein Saurüde, stand laut kläffend hinter ihm.
»Oh«, sagte er, senkte die Waffe und starrte sie an. »Was macht’n ihr beide hier?«
»Was soll das denn?«, sagte Harry, als sie eintraten, und deutete auf die Armbrust.
»Nichts, nichts«, murmelte Hagrid. »Ich hab jemanden erwartet, tut jetzt nichts zur Sache, setzt euch, ich koch Tee.«
Hagrid schien nicht recht zu wissen, was er tat. Beinahe hätte er das Feuer gelöscht, weil er Wasser aus dem Kessel daraufschüttete, und dann zerschlug er mit einem nervösen Zucken seiner massigen Hand die Teekanne.
»Alles in Ordnung mit dir, Hagrid?«, sagte Harry. »Hast du von Hermine gehört?«
»Oh, hab ich, ja«, sagte er ein wenig zögernd.
Ständig warf er nervöse Blicke zum Fenster. Er servierte ihnen große Becher mit heißem Wasser (die Teebeutel hatte er vergessen) und legte gerade eine Scheibe Früchtekuchen auf einen Teller, als jemand an die Tür pochte.
Hagrid ließ den Früchtekuchen fallen. Harry und Ron tauschten panische Blicke, dann warfen sie sich den Tarnumhang über und verdrückten sich in eine Ecke. Hagrid vergewisserte sich, dass sie nicht zu sehen waren, dann packte er die Armbrust und öffnete die Tür.
»Guten Abend, Hagrid.«
Es war Dumbledore. Mit todernster Miene trat er ein, ihm folgte ein zweiter, sehr merkwürdig aussehender Mann.
Der Fremde war klein und korpulent, hatte zerwühltes graues Haar und machte einen verschreckten Eindruck. Er trug eine seltsame Mischung von Kleidern: einen Nadelstreifenanzug, eine scharlachrote Krawatte, einen langen schwarzen Umhang und spitze purpurne Stiefel. Unter dem Arm trug er einen limonengrünen Hut.
»Das ist Dads Chef!«, hauchte Ron. »Cornelius Fudge, der Minister für Zauberei!«
Harry stupste Ron mit dem Ellbogen, damit er schwieg.
Hagrid war bleich geworden und schwitzte. Er ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen und sah abwechselnd Dumbledore und Cornelius Fudge an.
»Üble Geschichte«, sagte Fudge knapp. »Ganz, ganz üble Geschichte. Musste kommen. Vier Angriffe auf Muggelstämmige. Die Sache ist aus dem Ruder gelaufen. Das Ministerium muss handeln.«
»Ich hab niemals«, begann Hagrid und sah Dumbledore flehend an, »Sie wissen, Professor Dumbledore, Sir, ich hab nie –«
»Ich möchte klarstellen, Cornelius, dass Hagrid mein volles Vertrauen genießt«, sagte Dumbledore und sah Fudge missmutig an.
»Sehen Sie, Albus«, sagte Fudge gequält. »Hagrids Akte spricht gegen ihn. Das Ministerium muss etwas unternehmen – die Schulräte haben sich ins Vernehmen gesetzt –«
»Ich sage Ihnen noch mal, Cornelius, wenn Sie Hagrid mitnehmen, wird uns das keinen Schritt weiterbringen«, sagte Dumbledore. In seinen blauen Augen brannte ein Feuer, das Harry noch nie gesehen hatte.
»Sehen Sie es doch mal von meinem Standpunkt«, sagte Fudge und fummelte an seinem Hut. »Ich stehe mächtig unter Druck. Man erwartet von mir, dass ich handle. Wenn sich herausstellt, dass Hagrid unschuldig ist, kommt er zurück und die Sache ist erledigt. Aber ich muss ihn mitnehmen. Geht nicht anders. Täte sonst nicht meine Pflicht –«
»Mich mitnehmen?«, sagte Hagrid und zitterte. »Wohin mitnehmen?«
»Nur für kurze Zeit«, sagte Fudge und wich Hagrids Blick aus. »Keine Strafe, Hagrid, eher eine Vorsichtsmaßnahme. Wenn jemand anders erwischt wird, kommen Sie mit einer offiziellen Entschuldigung raus –«
»Nicht Askaban?«, krächzte Hagrid.
Bevor Fudge antworten konnte, pochte es erneut laut an der Tür.
Dumbledore öffnete. Nun fing sich Harry einen Ellenbogenstoß in
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