Hauchnah
männlichen Körper so vorteilhaft wie möglich ins Bild setzen könnte?
„Bestimmt wäre ich stolz gewesen“, sagte Melissa ein bisschen zu laut. Es hörte sich ein wenig gezwungen an. „Wie auch immer, hör nicht auf mich. Du hast mir nur so sehr gefehlt. Als ich …“ Sie stieß einen Schrei aus. „Stimmt ja! Das habe ich dir noch gar nicht gesagt. Die Plainville Post hat letzte Woche ein paar von deinen Fotos gebracht. Hast du gesehen …“
Natalie überging das verlegene Aufstöhnen ihrer Freundin wegen ihrer ungeschickten Wortwahl. „Tatsächlich? Welche?“
„Fotos vom Bauernmarkt.“
Spontan musste sie an das Geräusch denken, mit dem ihre Kamera auf dem Asphalt aufschlug. An das Gefühl, in bedrohlicher Dunkelheit gefangen zu sein, völlig anders als die Dunkelheit, die sie in ihrer Vorstellung mit Agent McKenzie teilte. Abgesehen von diesem Moment hatte sie kaum Erinnerungen an den Besuch des Bauernmarktes an jenem Tag. Sie wusste noch, wie sie angekommen und losgegangen war. Ein paar Fotos gemacht hatte. Aber dann war alles leer bis zu dem Moment, als sie denSchmerz hinter den Augen spürte, erlebte, wie ihre Sehkraft sie im Stich ließ, und dann, als sie sich bewegen wollte, wieder die Schmerzen spürte.
Sie hatte einige Menschen angerempelt, deren erschrockene Rufe und besorgte Fragen wie Alarmglocken in ihren Ohren klangen, sie quasi taub machten, und schließlich war sie gestürzt und mit dem Kopf auf dem Asphalt aufgeschlagen. Dann hatte sie das Bewusstsein verloren. Als sie aufwachte, lag sie in der Notaufnahme des Krankenhauses, und die typischen Gerüche und die vor Schmerzen stöhnenden Patienten um sie herum verwirrten sie noch mehr. Erinnerungen an ihre Mutter schossen ihr durch den Kopf. Drogen. Einschränkungen. Die Krankenschwestern und Ärzte waren Fremde, die nicht wussten, dass sie nicht sehen konnte, und sie hatte es ihnen zunächst nicht gesagt. Das hatte alles noch mehr kompliziert, und ihre Panik wuchs sich zu schierer Hysterie aus, die …
Hoppla. Standbild. Zurückspulen. Nicht daran denken.
Kühle Haut, schweißnasse Stirn und stockender Atem waren ihr überdeutlich bewusst. Sie krümmte die Finger, sodass sie spürte, wie ihre Fingernägel sich in die Handflächen gruben, und zwang sich zur Ruhe.
„Der Restaurationsentwurf für das Plainville-Magazin“, sagte sie und staunte, wie gefasst ihre Stimme in ihren eigenen Ohren klang. „Das muss eine Nachfolgeserie gewesen sein. Wie waren die Fotos?“ Sie stellte die Frage zu ihrer eigenen Ablenkung, merkte dann aber, dass sie tatsächlich neugierig auf Melissas Antwort war. Die Bilder vom Bauernmarkt waren nichts Aufregendes, doch selbst ein harmloses Thema konnte gut fotografiert sein. Oder schlecht. „Ich konnte damals nicht gut sehen, und dann …“
„Nein, nein. Die Serie war toll, Nat. Ich würde gern noch ein paar mehr von den Fotos sehen, die du an dem Tag geschossen hast.“
Natalie runzelte die Stirn. „Ja, sicher, aber warum …“
„Ich spiele mit dem Gedanken an einen eigenen Stand. Ummeine Fotos zu verkaufen. Die Lage ist angespannt, und ich dachte, wenn ich mir anschaue, was andere Leute verkaufen, könnte es von Vorteil für mich sein.“
Natalie räusperte sich. „Mark hat noch keine Arbeit?“, fragte sie sanft.
„Noch nicht. Aber bald.“
Klar doch. Bald. Warum ließ Melissa sich so etwas von dem Kerl gefallen?
Geht dich nichts an, Natalie.
Als ihre Freundin weiterhin schwieg, winkte Natalie sie heran. „Auf meinem Computer im Arbeitszimmer. Die Fotos sind nach Datum und Ort sortiert. Du weißt doch.“
„Danke, Natalie.“
Melissa stand auf. Sie verließ das Zimmer, und Natalie hörte sie am Computer hantieren. „Du hast hier eine so tolle Ausrüstung. Aber … hey, was ist das denn?“
„Was?“, rief Natalie.
„Die Fotos vom Bauernmarkt sind schon geladen. Du hast sie dir also schon angesehen?“
Ihr entfuhr ein kurzes Lachen. „Nein. Natürlich nicht. Ich habe nicht mehr vorm Computer gesessen, seit …“ Eiskalte Finger fuhren an ihrem Rückgrat hinauf und griffen an ihre Kehle.
Sie hatte seit dem Tag vor dem Einbruch nicht mehr vorm Computer gesessen, und die Fotos hatte sie ganz bestimmt nicht angeschaut. Wohl aber jemand anders.
Der Mann, der versucht hatte, sie umzubringen.
9. KAPITEL
N atalies Kehle war wie zugeschnürt. Angst und Verwirrung erfassten sie gleichzeitig. Melissa im Nebenraum wusste nichts von ihrem Dilemma und plapperte weiter.
„Tja, der
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