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Hauchnah

Hauchnah

Titel: Hauchnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virna Depaul
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noch nie eine Tür eingebaut“, sagte Natalie schließlich.„Immerhin haben sie dazu jemanden geschickt.“ Als die Agenten gegangen waren, hatte Natalie wohl zwanzig Minuten wie gelähmt dagesessen und die Ereignisse innerlich Revue passieren lassen. An die Tür oder daran, dass jemand – jeder x-Beliebige – in ihr Haus kommen konnte, hatte sie gar nicht gedacht, bis ein Fahrzeug vorfuhr. Eine Männerstimme rief ihr zu, dass „Mac“ ihn geschickt habe, damit er die Tür repariere. „Schön“, hatte sie gemurmelt, ihr Schlafzimmer aufgesucht und sich eingeschlossen, bis der Mann fertig war. Erst als sie seinen Wagen abfahren hörte, hatte sie das Schlafzimmer wieder verlassen.
    Melissa räusperte sich. „Und er hat so lange gebraucht, bis er merkte, dass du blind bist? Toller Detective.“
    „Er ist Special Agent. Vermutlich wusste er es längst und wollte mir eine Falle stellen, sehen, ob ich zusammenbreche und etwas über diese Lindsay ausplaudere.“ Vielleicht hatte ihn aber auch die gleiche Anziehung, die sie spürte, aus dem Gleichgewicht gebracht. Natürlich nur, bevor er von ihrer Behinderung wusste.
    „Das arme Mädchen“, sagte Melissa leise. „Von irgendeinem Psychopathen ermordet und einfach weggeworfen.“ Als Natalie spontan zusammenzuckte, stöhnte Melissa auf. „Verdammt. Entschuldige. Wie fühlst du dich?“
    „Ein bisschen angeschlagen, aber ansonsten ganz gut, danke.“ Behutsam betastete sie ihre Lieblingskamera. „Und du hast wirklich nichts dagegen, dass ich ein paar Fotos von dir mache, Melissa? Du hast schon den Hintergrund und die Beleuchtung hergerichtet. Ich weiß, du hast Besseres zu tun …“
    Die Freundin lachte. „Wen sonst willst du fotografieren? Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Bonnie lange genug stillhält und für dich posiert. Wenn ich schon mal hier bin, kannst du auch gern ein paar Fotos knipsen.“
    Bei der Vorstellung, dass die kleine, gedrungene, absolut sachliche Bonnie in die Kamera lächelte, musste Natalie kichern, auch wenn es sich anfühlte wie eingerostet. Ihre Mobilitätstrainerin war wunderbar als Lehrerin. Sie brachte ihr bei, mit ihrer Blindheitzurechtzukommen, bestand aber strikt darauf, dass alles seine Zeit und seinen Ort hatte. Bonnie versuchte zwar, Natalies Leidenschaft fürs Fotografieren zu verstehen, konnte sie aber doch nicht ganz nachvollziehen. Natalie zuckte die Achseln. Es war nicht wichtig. Bonnie war geduldig. Freundlich. Realistisch und ermutigend. Herrgott, sie förderte sogar Natalies Bedürfnis, hier und da ein Risiko einzugehen. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war. Bonnie entsprach ganz genau Natalies Anforderungen an eine Mobilitätstrainerin.
    „Du warst gerade fast wieder ganz die Alte, Natalie. Es tut gut, dich lachen zu hören.“
    Ich lache durchaus, hätte Natalie beinahe protestiert. Doch dann versuchte sie vergeblich, sich an das letzte Mal zu erinnern, als sie gelacht hatte. Deshalb lächelte sie nur und sagte: „Ja, es war ein schönes Gefühl. Bist du so weit?“
    „Ja.“
    Natalie holte tief Luft und hob die Kamera an ihr eines Auge. Am Morgen hatte sie Melissa angerufen und gefragt, ob sie für sie posieren würde. Zu ihrer Überraschung hatte nicht einmal das Fiasko im Café ihren Drang zu fotografieren auslöschen können. In gewisser Weise hatte ihr Ausflug zu Starbucks sie sogar noch in ihrem Entschluss bestärkt, mit der Kamera, die sie seit mehr als zwei Monaten nicht mehr angefasst hatte, zu experimentieren.
    In einem Winkel ihres Bewusstseins war ihr klar, dass Agent McKenzies unerwarteter Besuch und seine verletzenden Worte schuld an diesem Aufschwung waren. Sie hatte ihn, nachdem sie sich verabschiedet hatten, auf der Veranda mit seinem Partner reden hören. Hatte gehört, wie er sie als liebebedürftige Frau bezeichnete. Von denen hätte er die Nase voll. Vor Scham wäre sie fast in die Knie gegangen. Sie hatte Lust auf ihn gehabt, während er sie augenscheinlich als hilflose, jämmerliche Nervensäge betrachtete.
    Doch trotz der Kränkung vom Vortag hatte sich etwas verändert. Wieder einmal hatte sie das Gefühl, als wäre ein Teil von ihr aus tiefem Schlummer erwacht und wollte flügge werden. Waswürde geschehen, wenn sie es zuließe? Würde sie fliegen oder abstürzen und verbrennen?
    Dank der grellen Lampen, die Melissa aufgestellt hatte, konnte Natalie eben noch Melissas Umriss erkennen, als sie sich in einen Sessel niederließ. Zögernd schoss Natalie ein Foto. Dann noch eines.

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