Hauffs Maerchen - Gesamtausgabe
das dir gestohlen wurde, dein gehörte, Kalum?”
“Zeugen?” fragte dieser erbleichend, “nein, Zeugen hatte ich nicht, und Ihr wisset ja, Beherrscher der Gläubigen, daß ein Goldstück aussieht wie das andere. Woher konnte ich denn Zeugen nehmen, daß diese hundert Stück in meiner Kasse fehlen?”
“An was erkanntest du denn, daß jene Summe gerade dir gehöre?” fragte der Kalife.
“An dem Beutel, in welchem sie war”, erwiderte Kalum.
“Hast du den Beutel hier?” forschte jener weiter.
“Hier ist er”, sprach der Kaufmann, zog einen Beutel hervor und reichte ihn dem Großweßier, damit er ihn dem Kalifen gebe.
Doch dieser rief mit verstelltem Erstaunen: “Beim Bart des Propheten! der Beutel soll dein sein, du Hund? Mein gehörte dieser Beutel, und ich gab ihn, mit hundert Goldstücken gefüllt, einem braven jungen Mann, der mich aus einer großen Gefahr befreite.”
“Kannst du darauf schwören?” fragte der Kalife.
“So gewiß, als ich einst ins Paradies kommen will”, antwortete der Weßier, denn meine Tochter hat ihn selbst verfertigt.”
“Ei, ei!” rief Harun, “so wurdest du also falsch berichtet, Polizeirichter? Warum hast du denn geglaubt, daß der Beutel diesem Kaufmann gehöre?”
“Er hat geschworen”, antwortete der Polizeirichter furchtsam.
“So hast du falsch geschworen?” donnerte der Kalife den Kaufmann an, der erbleichend und zitternd vor ihm stand.
“Allah, Allah!” rief jener. “Ich will gewiß nichts gegen den Herrn Großweßier sagen, er ist ein glaubwürdiger Mann, aber ach! der Beutel gehörte doch mein, und der nichtswürdige Said hat ihn gestohlen. Tausend Tomans[6] wollte ich geben, wenn er jetzt zur Stelle wäre.”
“Was hast du denn mit diesem Said angefangen?” fragte der Kalife. “Sag an, wohin man schicken muß, damit er vor mir Bekenntnis ablege!”
“Ich habe ihn auf eine wüste Insel geschickt”, sprach der Polizeirichter.
“O Said! mein Sohn, mein Sohn!” rief der unglückliche Vater und weinte.
“So hat er also das Verbrechen bekannt?” fragte Harun.
Der Polizeirichter erbleichte. Er rollte seine Augen hin und her, und endlich sprach er: “Wenn ich mich noch recht erinnern kann - ja.”
“Du weißt es also nicht gewiß?” fuhr der Kalif mit schrecklicher Stimme fort, “so wollen wir ihn selbst fragen. Tritt hervor, Said, und du, Kalum-Beck, zahlst vor allem tausend Goldstücke, weil er jetzt hier zur Stelle ist.”
Kalum und der Polizeirichter glaubten ein Gespenst zu sehen; sie stürzten nieder und riefen: “Gnade, Gnade!” Benazar, vor Freuden halb ohnmächtig, eilte in die Arme seines verlorenen Sohnes. Aber mit eiserner Strenge fragte jetzt der Kalife: “Polizeirichter, hier steht Said, hat er gestanden?”
“Nein, nein!” heulte der Polizeirichter, “ich habe nur Kalums Zeugnis gehört, weil er ein angesehener Mann ist.”
“Habe ich dich darum als Richter über alle bestellt, daß du nur den Vornehmen hörest?” rief Harun al Raschid mit edlem Zorn. “Auf zehen Jahre verbanne ich dich auf eine wüste Insel mitten im Meere, da kannst du über Gerechtigkeit nachdenken, und du, elender Mensch, der du Sterbende erweckst, nicht um sie zu retten, sondern um sie zu deinen Sklaven zu machen, du zahlst, wie schon gesagt, tausend Tomans, weil du sie versprochen, wenn Said käme, um für dich zu zeugen.”
Kalum freute sich, so wohlfeil aus dem bösen Handel zu kommen, und wollte eben dem gütigen Kalifen danken. Doch dieser fuhr fort: “Für den falschen Eid wegen der hundert Goldstücke bekommst du hundert Hiebe auf die Fußsohlen. Ferner hat Said zu wählen, ob er dein ganzes Gewölbe und dich als Lastträger nehmen will, oder ob er mit zehn Goldstücken für jeden Tag, welchen er dir diente, zufrieden ist?”
[208] “Lasset den Elenden laufen, Kalife!” rief der Jüngling, “ich will nichts, das sein gehörte.”
“Nein”, antwortete Harun, “ich will, daß du entschädiget werdest. Ich wähle statt deiner die zehn Goldstücke für den Tag, und du magst berechnen, wieviel Tage du in seinen Klauen warst. Jetzt fort mit diesem Elenden.”
Sie wurden abgeführt, und der Kalife führte Benazar und Said in einen andern Saal, dort erzählte er ihm selbst seine wunderbare Rettung durch Said und wurde nur zuweilen durch das Geheul Kalum-Becks unterbrochen, dem man soeben im Hof seine hundert vollwichtigen Goldstücke auf die Fußsohlen zählte.
Der Kalife lud Benazar ein, mit Said bei ihm in Bagdad zu
Weitere Kostenlose Bücher