Hauffs Maerchen - Gesamtausgabe
wenn ich ins Dunkle kam, drückte ich vor Angst die Augen zu, denn ich glaubte, jetzt werde der tote Mann heranschleichen. Es ging so weit, daß ich nicht mehr allein und ohne Licht aus der Türe gehen wollte, wenn es dunkel war, und wie manchmal hat mich mein Vater nachher gezüchtigt, als er diese Unart bemerkte. Aber lange Zeit konnte ich diese kindische Furcht nicht los werden, und allein meine törichte Amme trug die Schuld.”
“Ja, das ist ein großer Fehler”, bemerkte der Jäger, “wenn man die kindlichen Gedanken mit solchem Aberwitz füllt. Ich kann Sie versichern, daß ich brave, beherzte Männer gekannt habe, Jäger, die sich sonst vor drei Feinden nicht fürchteten - wenn sie nachts im Wald aufs Wild lauern sollten oder auf Wilddiebe, da gebrach es ihnen oft plötzlich an Mut; denn sie sahen einen Baum für ein schreckliches Gespenst, einen Busch für eine Hexe und ein paar Glühwürmer für die Augen eines Ungetüms an, das im Dunkeln auf sie laure.”
“Und nicht nur für Kinder”, entgegnete der Student, “halte ich Unterhaltungen dieser Art für höchst schädlich und töricht, sondern auch für jeden; denn welcher vernünftige Mensch wird sich über das Treiben und Wesen von Dingen unterhalten, die eigentlich nur im Hirn eines Toren wirklich sind. Dort spukt es, sonst nirgends. Doch am allerschädlichsten sind diese Geschichten unter dem Landvolk. Dort glaubt man fest und unabweichlich an Torheiten dieser Art, und dieser Glaube wird in den Spinnstuben und in der Schenke genährt, wo sie sich enge zusammensetzen und mit furchtsamer Stimme die allergreulichsten Geschichten erzählen.”
“Ja, Herr!” erwiderte der Fuhrmann, “Ihr möget nicht unrecht haben; schon manches Unglück ist durch solche Geschichten entstanden, ist ja doch sogar meine eigene Schwester dadurch elendiglich ums Leben gekommen.”
“Wie das? An solchen Geschichten!” riefen die Männer erstaunt.
“Jawohl, an solchen Geschichten”, sprach jener weiter. “In dem Dorf, wo unser Vater wohnte, ist auch die Sitte, daß die Frauen und Mädchen in den Winterabenden zum Spinnen sich zusammensetzen. Die jungen Bursche kommen dann auch und erzählen mancherlei. So kam es eines Abends, daß man von Gespenstern und Erscheinungen sprach, und die jungen Bursche erzählten von einem alten Krämer, der schon vor zehen Jahren gestorben sei, aber im Grab keine Ruhe finde. Jede Nacht werfe er die Erde von sich ab, steige aus dem Grab, schleiche langsam und hustend, wie er im Leben getan, nach seinem Laden und wäge dort Zucker und Kaffee ab, indem er vor sich hin murmle:
?Drei Vierling, drei Vierling um Mitternacht
Haben bei Tag ein Pfund gemacht.?
Viele behaupteten, ihn gesehen zu haben, und die Mädchen und Weiber fingen an, sich zu fürchten. Meine Schwester aber, ein Mädchen von sechzehen Jahren, wollte klüger sein als die andern und sagte: ?Das glaube ich alles nicht; wer einmal tot ist, kommt nicht wieder!? Sie sagte es, aber leider ohne Überzeugung, denn sie hatte sich oft schon gefürchtet. Da sagte einer von den jungen Leuten: ?Wenn du dies glaubst, so wirst du dich auch nicht vor ihm fürchten; sein Grab ist nur zwei Schritte von Käthchens, die letzthin gestorben. Wage es einmal, gehe hin auf den Kirchhof, brich von Käthchens Grab eine Blume und bringe sie uns, so wollen wir glauben, daß du dich vor dem Krämer nicht fürchtetest!?
Meine Schwester schämte sich, von den andern verlacht zu werden, darum sagte sie: ?O! das ist mir ein Leichtes; was wollt ihr denn für eine Blume??
?Es blüht im ganzen Dorf keine weiße Rose als dort; darum bring uns einen Strauß von diesen?, antwortete eine ihrer Freundinnen. Sie stand auf und ging, und alle Männer lobten ihren Mut; aber die Frauen schüttelten den Kopf und sagten: ?Wenn es nur gut abläuft!? Meine Schwester ging dem Kirchhof zu; der Mond schien hell, und sie fing an zu schaudern, als es zwölf Uhr schlug und sie die Kirchhofpforte öffnete.
Sie stieg über manchen Grabhügel weg, den sie kannte, und ihr Herz wurde bange und immer banger, je näher sie zu Käthchens weißen Rosen und zum Grab des gespenstischen Krämers kam.
Jetzt war sie da; zitternd kniete sie nieder und knickte die Blumen ab. Da glaubte sie ganz in der Nähe ein Geräusch zu vernehmen; sie sah sich um; zwei Schritte von ihr flog die Erde von einem Grab hinweg, und langsam richtete sich eine Gestalt daraus empor. Es war ein alter, bleicher Mann mit einer weißen Schlafmütze auf dem Kopf.
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