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Hauffs Maerchen - Gesamtausgabe

Hauffs Maerchen - Gesamtausgabe

Titel: Hauffs Maerchen - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Hauff
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den See, um schnell den Arzt zu holen; aber bald kehrten seine Boten allein zurück und erzählten ihm, daß der arme Arzt ins Wasser gefallen und ertrunken sei; seinen schwarzen Talar sehe man mitten im See schwimmen, und hie und da gucke auch sein stattlicher Bart aus den Wellen hervor. Als Thiuli keine Rettung mehr sah, verwünschte er sich und die ganze Welt, raufte sich den Bart aus und rannte mit dem Kopf gegen die Mauer. Aber alles dies konnte nichts helfen; denn Fatme gab bald unter den Händen der übrigen Weiber den Geist auf. Als Thiuli die Nachricht ihres Todes hörte, befahl er, schnell einen Sarg zu machen, denn er konnte keinen Toten im Hause leiden, und ließ den Leichnam in das Begräbnishaus tragen. Die Träger brachten den Sarg dorthin, setzten ihn schnell nieder und entflohen, denn sie hatten unter den übrigen Särgen stöhnen und seufzen gehört.

Mustafa, der sich hinter den Särgen verborgen und von dort aus die Träger des Sarges in die Flucht gejagt hatte, kam hervor und zündete sich eine Lampe an, die er zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Dann zog er ein Glas hervor, das die erweckende Arznei enthielt, und hob dann den Deckel von Fatmes Sarg. Aber welches Entsetzen befiel ihn, als sich ihm beim Scheine der Lampe ganz fremde Züge zeigten! Weder meine Schwester, noch Zoraide, sondern eine ganz andere lag in dem Sarg. Er brauchte lange, um sich von dem neuen Schlag des Schicksals zu fassen; endlich überwog doch Mitleid seinen Zorn. Er öffnete sein Glas und flößte ihr die Arznei ein. Sie atmete, sie schlug die Augen auf und schien sich lange zu besinnen, wo sie sei. Endlich erinnerte sie sich des Vorgefallenen; sie stand auf aus dem Sarg und stürzte zu Mustafas Füßen. “Wie kann ich dir danken, gütiges Wesen”, rief sie aus, “daß du mich aus meiner schrecklichen Gefangenschaft befreitest!” Mustafa unterbrach ihre Danksagungen mit der Frage: Wie es denn geschehen sei, daß sie und nicht Fatme, seine Schwester, gerettet worden sei? Jene sah ihn staunend an. “Jetzt wird mir meine Rettung erst klar, die mir vorher unbegreiflich war”, antwortete sie; “wisse, man hieß mich in jenem Schlosse Fatme, und mir hast du deinen Zettel und den Rettungstrank gegeben.” Mein Bruder forderte die Gerettete auf, ihm von seiner Schwester und Zoraiden Nachricht zu geben, und erfuhr, daß sie sich beide im Schloß befinden, aber nach der Gewohnheit Thiulis andere Namen bekommen haben; sie heißen jetzt Mirzah und Nurmahal.

Als Fatme, die gerettete Sklavin, sah, daß mein Bruder durch diesen Fehlgriff so niedergeschlagen sei, sprach sie ihm Mut ein und versprach ihm ein Mittel zu sagen, wie er jene beiden Mädchen dennoch retten könne. Aufgeweckt durch diesen Gedanken, schöpfte Mustafa von neuem Hoffnung; und bat sie, dieses Mittel ihm zu nennen, und sie sprach:

“Ich bin zwar erst seit fünf Monaten die Sklavin Thiulis; doch habe ich gleich vom Anfang auf Rettung gesonnen; aber für mich allein war sie zu schwer. In dem innern Hof des Schlosses wirst du einen Brunnen bemerkt haben, der aus zehn Röhren Wasser speit. Dieser Brunnen fiel mir auf; ich erinnerte mich, in dem Hause meines Vaters einen ähnlichen gesehen zu haben, dessen Wasser durch eine geräumige Wasserleitung herbeiströmt; um nun zu erfahren, ob dieser Brunnen auch so gebaut sei, rühmte ich eines Tages vor Thiuli seine Pracht und fragte nach seinem Baumeister. ?Ich selbst habe ihn gebaut?, antwortete er, ?und das, was du hier siehst, ist noch das Geringste; aber das Wasser dazu kommt wenigstens tausend Schritte weit von einem Bach her und geht durch eine gewölbte Wasserleitung, die wenigstens mannshoch ist; und alles dies habe ich selbst angegeben.? Als ich dies gehört hatte, wünschte ich mir oft, nur auf einen Augenblick die Stärke eines Mannes zu haben, um einen Stein aus der Seite des Brunnens ausheben zu können: dann könnte ich fliehen, wohin ich wollte. Diese Wasserleitung nun will ich dir zeigen; durch sie kannst du nachts in das Schloß gelangen und jene befreien. Aber du mußt wenigstens noch zwei Männer bei dir haben, um die Sklaven, die das Serail bei Nacht bewachen, zu überwältigen.”

So sprach sie; mein Bruder Mustafa aber, obgleich schon zweimal in seinen Hoffnungen getäuscht, faßte noch einmal Mut und hoffte mit Allahs Hülfe, den Plan der Sklavin auszuführen. Er versprach ihr, für ihr weiteres Fortkommen in ihre Heimat zu sorgen, wenn sie ihm behülflich sein wollte, ins Schloß zu gelangen.

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