Zu Hause in Almanya
Kismet
Das Glück kommt auf eigenen Wegen
Die Kinder von Zeliha
In jeder Wohnung müssen irgendwo Bilder der Ahnen und Großeltern, der Eltern oder Kinder angebracht sein. Auch in der Wohnung von Zeliha war das so. Sie hatte ihre Bilder in schöne silberne Rahmen gesteckt, die auf der Kommode im Wohnzimmer standen, und jeder der Rahmen war mit einem filigranen weißen Deckchen behangen, das sie selbst gehäkelt hatte. Wenn man die Gesichter der Personen sehen wollte, musste man immer erst den herunterhängenden Zipfel des Deckchens hochklappen. Zeliha war unverbesserlich. Sämtliche Sofas und Schränke hatte sie ebenfalls mit diesen Deckchen ausstaffiert, nicht nur die Bilder der Familie.
Ihre Bilder standen dort auf der Kommode, damit sie ihre Liebsten immer vor Augen haben konnte, und vor allem, weil sie der Meinung war, dass man nie vergessen dürfe, zu wem man gehört und woher man kommt. Ihre Kinder hatten das schon so oft gehört, dass sie immer nur abwinkten, wenn sie ihre Mutter wieder so reden hörten, doch sie ahnten nicht, dass sie es irgendwann einmal vermissen würden.
Zeliha war eine wunderhübsche Frau, die perfekt dem Schönheitsideal vergangener türkischer Tage entsprach: babyzarte Haut, kohleschwarze Augen, geschwungene Augenbrauen, wie mit einem Stift gezogen, und kastanienbraunes, langes Haar. Mittelgroß und kräftig war sie, ein bisschen mollig mittlerweile, ein bisschen mädchenhaft immer noch, obwohl sie drei erwachsene Kinder hatte. Jedenfalls fast erwachsen, denn der jüngste war erst 20 Jahre alt. Er war das Nesthäkchen der Familie und die beiden Großen, der ältere Bruder und die ältere Schwester, sein Abi und seine Abla sorgten sich um ihn wie um ihren Augapfel. Das war nicht immer einfach gewesen, aber Zeliha hatte stets darauf geachtet.
Zelihas Mann war ein richtiger Efendi , ein Gentleman, einer von dem man sagte, dass er einen Mund, aber scheinbar keine Zunge habe, so zurückhaltend und bescheiden wie er sei. Zeliha war eindeutig die Lauteste in der Familie und die, die sich am meisten Gedanken machte, die am meisten tat und am meisten auffiel. Ihr Mann liebte sie dafür und ihre Kinder waren es nicht anders gewöhnt, dass ihre Mutter der Nabel der Familienwelt war.
Zeliha stammte von der Schwarzmeerküste, was ihr spritziges Temperament und ihre Schönheit erklärte, sagte ihr Mann. Die beiden waren ein modernes Paar, sie gingen an Feiertagen zwar in die Moschee, aber gönnten sich hin und wieder ein Gläschen Raki. Sie verehrten Atatürk, hörten klassische Musik und hatten in ihrer Jugend Che Guevara bewundert.
Die Familie betrieb eine kleine Schneiderei. Ohne Zeliha hätte das nie geklappt, das wussten alle in der Familie und noch viele darüber hinaus. Die Mutter der drei Kinder war in ihrem Viertel gut bekannt, weil sie für jeden immer einen freundlichen Gruß hatte und es nichts gab, was sie nicht hätte nähen können. Zeliha wusste, wie hart das Leben sein konnte. Deshalb hatte sie ihre drei Kinder dazu erzogen, fleißig in der Schule zu sein und gute Berufe zu erlernen. Bei ihrem ersten Sohn hatte das nicht so gut geklappt. Als er klein gewesen war, da waren sie alle noch neu in Deutschland und kannten sich nicht gut aus, sie wussten nicht, welche Bildungsmöglichkeiten es gab und was das Beste für ihr Kind war. Deshalb hatte er nur eine Verkäuferausbildung gemacht, obwohl er zu Größerem geboren war, wie er selbst felsenfest glaubte. Und so hatte er, der Abi , es mit viel harter Arbeit geschafft, ein erfolgreicher Kleinunternehmer zu werden, und hin und wieder arbeitete er sogar mit seinen Eltern zusammen. Seine jüngere Schwester war die Intellektuelle der Familie. Sie hatte Marketing studiert und arbeitete als Führungskraft in einem großen Unternehmen. Sie liebte den turkish way of life und wohnte nur ein paar Häuser neben den Eltern. Die beiden besuchten diese alle paar Tage oder an Wochenenden und waren immer da, wenn die Eltern Hilfe brauchten.
Der Jüngste, das Nesthäkchen, war ein Rebell. Auf Studium und Zukunftsplanung hatte er keine Lust, und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er weder Türkisch gesprochen noch sonst etwas mit den »Kanaken« zu tun gehabt. Er war einer, der heimlich Graffiti an die Wände schmierte, auf skurrilen Partys rumhing und noch allerlei andere Sachen trieb, von denen die Eltern und Geschwister lieber nichts wissen sollten.
Eines Tages aber brach eine Krise über diese so normale, glückliche Familie herein, die
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