Hauffs Maerchen - Gesamtausgabe
erleben. Bei dem Märchen liegt dieses Außergewöhnliche in jener Einmischung eines fabelhaften Zaubers in das gewöhnliche Menschenleben; bei den Geschichten geschieht etwas zwar nach natürlichen Gesetzen, aber auf überraschende, ungewöhnliche Weise.”
“Sonderbar!” rief der Schreiber. “Sonderbar, daß uns dann dieser natürliche Gang der Dinge ebenso anzieht wie der übernatürliche im Märchen. Worin mag dies doch liegen?”
“Das liegt in der Schilderung des einzelnen Menschen”, antwortete der Alte; “im Märchen häuft sich das Wunderbare so sehr, der Mensch handelt so wenig mehr aus eigenem Trieb, daß die einzelnen Figuren und ihr Charakter nur flüchtig gezeichnet werden können. Anders bei der gewöhnlichen Erzählung, wo die Art, wie jeder seinem Charakter gemäß spricht und handelt, die Hauptsache und das Anziehende ist.”
“So die ?Geschichte von dem gebackenen Kopf?, die wir soeben gehört haben. Der Gang der Erzählung wäre im ganzen nicht auffallend, nicht überraschend, wäre er nicht verwickelt durch den Gang der Handelnden. Wie köstlich zum Beispiel ist die Figur des Schneiders. Man glaubt den alten, gekrümmten Mantelflicker vor sich zu sehen. Er soll zum erstenmal in seinem Leben einen tüchtigen Schnitt machen, ihm und seinem Weibe lacht schon zum voraus das Herz, und sie traktieren sich mit recht schwarzem Kaffee. Welches Gegenstück zu dieser behäglichen Ruhe ist dann jene Szene, wo sie den Pack begierig öffnen und den gräulichen Kopf erblicken. Und nachher glaubt man ihn nicht zu sehen und zu hören, wie er auf dem Minarett umherschleicht, die Gläubigen mit mäckernder Stimme zum Gebet ruft und bei Erblickung des Sklaven plötzlich wie vom Donner gerührt verstummt? Dann der Barbier! Sehet ihr ihn nicht vor euch, den alten Sünder, der, während er die Seife anrührt, viel schwatzt und gerne verbotenen Wein trinkt? Sehet ihr ihn nicht, wie er dem sonderbaren Kunden das Barbierschüsselchen unterhält und - den kalten Schädel berührt? Nicht minder gut, wenn auch nur angedeutet, ist der Sohn des Bäckers, der verschmitzte Junge und der Bratenmacher Yanaki! Ist nicht das Ganze eine ununterbrochene Reihe komischer Szenen, scheint nicht der Gang der Geschichte, so ungewöhnlich er ist, sich ganz natürlich zu fügen? und warum? weil die einzelnen Figuren richtig gezeichnet sind und aus ihrem ganzen Wesen alles so kommen muß, wie es wirklich geschieht.”
“Wahrlich, Ihr habt recht!” erwiderte der junge Kaufmann. “Ich habe mir nie Zeit genommen, so recht darüber nachzudenken, habe alles nur so gesehen und an mir vorübergehen lassen, habe mich an dem einen ergötzt, das andere langweilig gefunden, ohne gerade zu wissen, warum. Aber Ihr gebt uns da einen Schlüssel, der uns das Geheimnis öffnet, einen Probierstein, worauf wir die Probe machen und richtig urteilen können.”
“Tuet das immer”, antwortete der Alte, “und euer Genuß wird sich vergrößern, wenn ihr nachdenken lernet über das, was ihr gehört. Doch siehe, dort erhebt sich wieder ein Neuer, um zu erzählen.”
So war es, und der fünfte Sklave begann die Geschichten vom Affen als Mensch.
Der Affe als Mensch
Herr! ich bin ein Deutscher von Geburt und habe mich in Euren Landen zu kurz aufgehalten, als daß ich ein persisches Märchen oder eine ergötzliche Geschichte von Sultanen und Vezieren erzählen könnte. Ihr müßt mir daher schon erlauben, daß ich etwas aus meinem Vaterland erzähle, was Euch vielleicht auch einigen Spaß macht. Leider sind unsere Geschichten nicht immer so vornehm wie die Euern, das heißt, sie handeln nicht von Sultanen oder unseren Königen, nicht von Vezieren und Paschas, was man bei uns Justiz-und Finanzminister, auch Geheimräte und dergleichen nennt, sondern sie leben, wenn sie nicht von Soldaten handeln, gewöhnlich ganz bescheiden und unter den Bürgern.
Im südlichen Teil von Deutschland liegt das Städtchen Grünwiesel, wo ich geboren und erzogen bin. Es ist ein Städtchen, wie sie alle sind. In der Mitte ein kleiner Marktplatz mit einem Brunnen, an der Seite ein kleines, altes Rathaus, umher auf dem Markt das Haus des Friedensrichters und der angesehensten Kaufleute, und in ein paar engen Straßen wohnen die übrigen Menschen. Alles kennt sich, jedermann weiß, wie es da und dort zugeht, und wenn der Oberpfarrer oder der Bürgermeister oder der Arzt ein Gericht mehr auf der Tafel hat, so weiß es schon am Mittagessen die ganze Stadt. Nachmittags kommen
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