Hauptsache nichts mit Menschen (German Edition)
ich immer ein Meerschweinchen haben. Aber meinem Vater war das nicht männlich genug.
Frau Brohm
Nicht männlich genug?
Ich
Ja. Mein Vater hatte immer panische Angst davor, ich könnte zu weibisch werden. Oder schwul. Oder beides.
Frau Brohm
Dann also lieber Feldhasen!?
Ich
Vater wollte, dass ich sie »Friedrich« und »Wilhelm« nenne. Irgendwas Ansehnliches. Mit Klang. Ich hab dann einfach »Stefanie« und »Jürgen« zu ihnen gesagt.
Frau Brohm
Und wie alt sind Stefanie und Jürgen geworden?
Ich
Nicht mal zwei, glaube ich.
Frau Brohm
Schade!
Ich
Ja. So ein Hasenleben ist nicht sehr beständig in einer polnischen Familie.
Frau Brohm
Bitte?
Ich
Eines Tages kam ich aus der Schule und mein Vater hat mir erzählt, Stefanie und Jürgen seien weggelaufen, und zwei Monate später hab ich im Mülleimer Gefrierbeutel gefunden.
Frau Brohm
Gefrierbeutel?
Ich
Ja. Benutzte Gefrierbeutel mit der Aufschrift «Stefanie und Jürgen«. Meine Mutter war schon immer sehr pragmatisch in diesen Dingen.
Frau Brohm
Oh, Gott. Das klingt ja fast nach einem frühkindlichen Trauma.
Ich
Na ja. Ich war neun.
Frau Brohm
Trotzdem! Was sich da alles hätte ablagern können in Ihrem Unterbewusstsein!
Ich
Jetzt spinnen Sie mal nicht rum.
Frau Brohm
Und ausgerechnet Hasen!
Ich
Wieso denn »ausgerechnet«?
Frau Brohm
Na, Hasen sind doch das klassische Symbol für Sexualität.
Ich
Versuchen Sie mir gerade einzureden, meine Mutter hätte meine Sexualität in einem Gefrierbeutel in ihrer Kühltruhe aufbewahrt?
Frau Brohm
Seh’n Sie! Trauma!
Ich
Blödsinn!
Frau Brohm
Mensch, Herr Bokowski! Die haben Ihre Haustiere umgebracht. Sind Sie denn wirklich überhaupt nicht böse deswegen?
Ich
Komischerweise war ich nicht einmal damals richtig böse. Erstens haben Stefanie und Jürgen ziemlich gut geschmeckt …
Frau Brohm
Pah!
Ich
Und zweitens: Was soll ich meinen Eltern denn vorwerfen?
Frau Brohm
Mord! Grausamkeit! Lüge!
Ich
Na ja. Angelogen haben sie mich schon. Aber das könnte man auch wohlwollend formulieren.
Frau Brohm
Wie denn?
Ich
Mir wurde die Wahrheit aufgetischt!
Frau Brohm
Manchmal geht mir Ihr wohlwollendes Wesen ein bisschen auf die Nerven! Was ist denn mit Ihrem Gerüstbauer? Werden Sie da auch so wohlwollend reagieren?
Ich
Ach, um Dieter mach ich mir wirklich keinen Kopf.
Frau Brohm
Woher diese Gelassenheit?
Ich
Ich hab einfach eine ziemlich große Gefriertruhe.
MONTAG
Zum ersten Mal seit sieben Jahren bin ich im Berliner Berufsverkehr unterwegs. 99 Prozent aller Menschen in dieser U-Bahn sind auf dem Weg zur Schule, zur Uni, zum Amt oder zur Arbeit. Nur ich fahre mit einem Plastikbecher voller Eigenurin zum Urologen. Das also ist das wilde Künstlerleben, um das mich so viele meiner Freunde beneiden
.
DIE SCHLAGER-NACKT-PARTY
Sollten Sie noch immer der festen Überzeugung sein, Homosexuelle seien so normal wie andere Menschen, dann sollten Sie zumindest einmal in Ihrem Leben jener absonderlichen Veranstaltung beigewohnt haben, die im folgenden Text beschrieben wird. Denn alle acht Wochen findet in Berlin eine Party statt, die das genaue Gegenteil beweist: Die Schlager-Nackt-Party. Schwule Männer, die zusammenkommen, um zu Schlagermusik zu tanzen. Und als sei das nicht schon schlimm genug, tun sie es nackt, splitterfasernackt. Sie werden zugeben, dass das doch alles ist, alles – nur nicht normal.
21.00 Uhr
Seit vier Wochen bin ich Mitglied in einem Kneipenverein: Ein Kollektiv von 25 Leuten, das eine schwul-lesbische Kneipe in Berlin-Mitte betreibt. In einem Anfall geistiger Umnachtung habe ich mich für den Bardienst bei der Schlager-Nackt-Party eingetragen. Die Fenster des Ackerkellers (einer Kollektivkneipe) sind mit großen schwarzen Tüchern verhängt. Ich klopfe, man öffnet mir. Als ich die Kneipe betrete, werde ich von meinen Vereinskollegen mit einem kollektiven »Ausziehn!« begrüßt.
21.12 Uhr
Rainer, Nils und Martin laufen nackt durch die Gegend und treffen eilig die letzten Vorbereitungen. »Die letzten Vorbereitungen«, das bedeutet im Falle der Schlager-Nackt-Party, dass alle Stühle, Sessel und Sofas mit großen Laken überworfen werden. Es dauert einen Moment, bis mir dämmert, warum.
21.29 Uhr
Gott ist groß, Gott ist gnädig. Aus hygienischen Gründen darf die Barschicht des Abends, respektive ich, ein Mindestmaß an Kleidung anbehalten.
21.36 Uhr
Ich habe trotzdem sieben verschämte Minuten gebraucht, um mich umzuziehen. Erinnerungen an den Sportunterricht stiegen in mir auf. Erinnerungen von der siebten
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