Haus der Jugend (German Edition)
Wolpertinger, die Bäuerin, den Pfarrer. Ein Bett und etwas zu essen. Wo war das Aloisiushaus?
Wo war Darius?
Die Schritte führten mich an einer der Wärmestuben vorbei. Zögernd blieb ich stehen. Noch vor zwei Wochen hätte ich nicht gezögert. Da hatte ich noch einen Praktikumsplatz und ein Zimmer, gehörte noch dazu.
›Unsinn. Jetzt gehörst du dazu.‹
Eintreten, ersticken im Qualm. Licht, Musik, Gespräche – alles zu laut. Nicht laut genug, die Gedankenkreisel zu übertönen, die immer heftiger in mir schrien, ohne mir zu sagen, was sie wollten.
Wo war Darius?
6.
Darius ist wach. Er ist schon geduscht und angezogen, als wollte er zur Arbeit. Ich spüre seine Hand in meinem Haar, höre ihn flüstern, als ob er mich erreichen und doch nicht stören möchte.
»Was ist los?«, frage ich. »Suchst du etwas?«
»Nein.«
Ich richte mich auf, sehe ihn an. Seine Augen sind matt, als hätte er die ganze Nacht geweint. Aber dann hätte ich ihn gehört.
»Du hast mir mal angeboten, ich müsste nicht arbeiten.«
»Schließlich bin ich durch dich reich geworden.« Das Lachen klappt noch nicht, so kurz nach dem Schlaf.
Darius schüttelt den Kopf. »Darum geht es nicht.«
»Nervt dich dein Job?«
Wieder schüttelt er den Kopf. »Darum geht es auch nicht. Ich möchte mit dir einen Ausflug machen. Heute.«
»Und wenn du nicht kommst, fliegst du?«
»Okay, mein Job nervt mich auch.«
Kann er mir nicht sagen, er wolle die Zeit mit mir genießen? Einen Ausflug. War das nicht schon einmal das Ende? Unwillkürlich spüre ich einen Stich in der Brust.
»Wohin möchtest du?«
»Nicht weit. In einen kleinen Ort namens Remmels. Er ist im Naturpark Aukrug.« Mit fragendem Gesicht bleibt er vor mir stehen. Ausflug, kleiner Ort, Darius. Das alles weckt schöne und dunkle Erinnerungen. Nur das Land Schleswig Holstein irritiert mich.
»Du möchtest zum Aloisiushaus, stimmt’s?
»Ja.«
Ich ziehe die Beine an und umschlinge sie mit den Armen. Den Kopf lege ich auf die Knie.
»Keine Angst. Ich möchte keine Woche mit dir dort verbringen. Nur heute. Und ich werde mit dir zurückfahren.«
Ein Blick auf den Wecker verrät mir, es ist gerade sieben Uhr morgens. Noch immer Darius‘ erwartungsvoller Blick, die Spannung, die Furcht, ich könnte Nein sagen.
»Wie lange brauchen wir?«
»Ich weiß es nicht.«
Jetzt nicke ich, das reicht, um seine Anspannung zu lösen. Ich streife die Bettdecke von mir und stehe auf. »Gern«, sage ich und gehe an ihm vorbei ins Bad. »In den Naturpark fahren wir etwa eine Stunde. Müssen wir so früh los?«
Darius folgt mir, bleibt bei der Tür stehen, schaut mir dabei zu, mich auszuziehen. Keine Scham mehr seit gestern Nachmittag. Auch wenn ich die Augen geschlossen gehalten habe.
»Ich habe schon Frühstück gemacht. Bis wir soweit sind …«
Ich lächle ihn an, schließe die Kabinentür und stelle das Wasser an. Er drängt sich nicht zu mir, sondern geht die Treppe hinunter.
Auf dem Tisch stehen Rührei, Marmelade, Schinken, Käse, Brötchen, die er selbst gebacken hat.
»Der Chef hat mir ein paar gefrorene Rohlinge geschenkt«, sagt er grinsend.
›Ich frage besser nicht nach.‹
»Traust du mir das wirklich zu?«
Ach ja, die Gedanken.
Der Menge nach müssten wir die Wanderrucksäcke so vollstopfen können wie vor fünfzig Jahren, aber Darius packt nichts ein.
»Sollen wir uns etwas mitnehmen?«
»Wir können doch unterwegs in einen Gasthof gehen.«
Schweigen.
»Wir kommen zurück - beide«, sagt er fest und zuversichtlich, um dann leise und zaghaft abzuschließen: »Das hoffe ich zumindest.«
»Wusstest du damals, als wir losgefahren sind, schon, was passieren würde?«
»Nein.«
Schweigen.
»Ehrlich nicht.«
Die Gedanken.
Ich räume die Lebensmittel weg, Darius das Geschirr in die Spülmaschine. Anziehen, Einsteigen, Losfahren.
Wir brauchen nicht viele Worte. Dabei würde es so viele geben. Schnell wird es warm im Auto. Im Radio laufen inhaltslose Lieder von dünnen Stimmchen vorgetragen.
›The Infant Light‹, ›Femme Like You‹, ›Geile Zeit‹.
Kahle Bäume, nackte Felder, wenn wir etwas anderes sehen als die Lärmschutzmauern an der Autobahn.
»Weißt du, was du beim Aloisiushaus willst?«
»Ja.«
Schweigen.
Landschaft.
Lärmschutzmauern.
Schleswig Holstein bietet wenig, wenn man es auf der A7 durchquert, nicht einmal Geschwindigkeit. Bis Neumünster darf ich höchstens 120 fahren. Neumünster Mitte muss ich auf die Landstraße
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