Haus der Sonne
Umzug nach Cheyenne vorausgegangen waren. Wunderschöne Jocasta. In meiner Brust war plötzlich ein Schmerz, von dem ich wünschte, ich hätte ihn als Magenverstimmung abtun können.
Manchmal will man emotionale Qualen bis zur Neige ausleben. Bei anderen Gelegenheiten will man sie so schnell wie möglich hinter sich bringen. Ich schaltete das Telekom auf doppelte Wiedergabegeschwindigkeit.
Sogar bei diesem Tempo hatte ihre Stimme den perfekt modulierten, samtweichen Klang des geübten Profis. (Ich fragte mich kurz, ob sie immer noch ihre Tri-deoshow bei KCPS in Seattle hatte.) Ich überhörte die Worte, die sie sagte - nicht weiter schwierig, die Nachricht war kaum mehr als eine verbale Postkarte: »Hey, lange her, wie geht's?«, so in der Art -, und ich konzentrierte mich ganz auf die Stimme. Ich erinnerte mich an unsere erste Begegnung vor vier Jahren: eine schlanke, hochgewachsene Gestalt, gespannt wie eine Bogensehne in ihrer maßgeschneiderten rauchgrauen Lederkleidung, die ganz ruhig mit einer Pistole auf einen Punkt zwischen meinen Augen zielte ...
Die Nachricht endete mit den üblichen nichtssagenden Floskeln und guten Wünschen für meine Gesundheit, und dann war Jocasta verschwunden. Ich starrte den leeren Telekomschirm noch eine ganze Weile an. Ms. Jocasta Yzerman - nein, inzwischen Mrs. Jocasta Brock, nicht wahr? - hatte das Gewitter unglaublich gut überstanden. Keine körperlichen Narben, und wenn es seelische gab, hielt sie sie gut verborgen. War sie wirklich so stark, so widerstandsfähig? Oder hatte sie während unserer kurzen gemeinsamen Zeit etwas von mir gelernt - die Fähigkeit, sich zu belügen und seelische Qualen total zu unterdrücken -, während ich diese Fähigkeit ironischerweise zur gleichen Zeit verlernte? Wie sahen ihre Träume in jenen einsamen Nachtstunden aus, in denen die Schutzmauern am dünnsten sind? Wahrscheinlich würde ich das nie erfahren, jetzt nicht mehr.
Ein paar Sekunden erwog ich, ihr eine Antwort zu schicken - gleich jetzt, spontan und aus dem Stegreif, ohne alles vorzuformulieren. Ich brauchte nicht lange, um den Gedanken als schlechte Idee abzutun. Wenigstens in diesem Augenblick, wo ich nach der langen gedanklichen Beschäftigung mit Theresa emotional offen und verwundbar war. Drek, vielleicht ging ich sogar so weit und redete davon, was ich tatsächlich empfand, und wer wußte schon, wo das hinführen mochte...?
Mein linker Arm fing leise an zu summen. Ich haßte es, wenn er das tat, wenn er irgendeiner Selbstdiagnose-Routine folgte, wenn sein Hauptprozessor der Ansicht war, er hätte gerade die Zeit. (Nur die Geister wußten, was das Ding tat, während ich nachts schlief.) Das Geräusch war sehr leise, aus zwei Metern Entfernung wahrscheinlich unhörbar, aber ich reagierte darauf immer, als fange direkt neben meinem Ohr ein Wecker an zu klingeln. Ich ballte ein paarmal meine linke Faust, und das Summen hörte auf.
Im stillen dankte ich den Leuten von Wiremaster In-corporated. Das Summen in meinem Arm - sie nannten es vielleicht diagnostische Routine; ich nannte es einen Weckruf, eine Mahnung, daß ich in der realen Welt lebte. Ich seufzte.
Nun, da ich das Telekom schon mal eingeschaltet hatte, konnte ich mich ebensogut gleich an die Arbeit machen. Ich nahm den Chip, den Sharon Young mir im Buffalo Jump gegeben hatte, legte ihn ins Telekom ein und rief die Daten auf.
Ein Haufen Daten, wurde mir klar, als sie rasch über den Schirm huschten. Ich stoppte den sinnlosen Daten-durchlauf, gab eine vernünftigere Durchlaufgeschwindigkeit ein und drückte erneut die Anzeigetaste.
Jonathan Bridge, das ist dein Leben. Sofort verstand ich besser, warum Sharon Young mich auf ihn angesetzt hatte. Sie hatte hier einen Haufen Hintergrundmaterial gesammelt - Geburtsdatum, Familiengeschichte, die Nummer seines Sioux-Ausweises, einen Teil seiner SIN, sogar Zusammenfassungen seiner Grundschularbeiten. Stichproben seiner Finanzsituation, die über zehn Jahre zurückreichten - fast ein Drittel seines Lebens. Das volle Programm. Offensichtlich wußte jemand mit dem armen, vertrauensvollen Computer im zentralen Einwohnermeldeamt der Sioux umzugehen. Ich ging die Daten noch einmal durch. Profiarbeit, kein Zweifel. Mindestens eine Woche Wühlarbeit, vorausgesetzt, man warf Hallo-Wachs wie Bonbons ein. Vielleicht - wenn mir die Großen Geister der Datenverarbeitung hold waren - hätte ich diese persönlichen Daten ebenfalls aus dem System holen können.
Aber das war auch alles:
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