Haus des Glücks
H ört meine Worte, ihr Männer und Frauen, die ihr gutes Essen auf guten Feuern bratet. Hört meine Geschichte. Sie berichtet von alten Zeiten, als es auf Samoa weder Hühner noch Enten noch Schweine gab.
Eines Tages kam ein großes Ungeheuer. Es peitschte das Wasser mit dem Schwanz und verschlang alles, was ihm in den Weg kam. Die Fische flohen, die Netze blieben leer, und Hunger hielt Einzug in die Hütten.
Auch im Haus des Häuptlings herrschte Not. Auf seinen schönen Matten machte sich der Hunger breit und fletschte die Zähne. Die Männer und Frauen waren stumm, das einzige Geräusch war das Knurren der Bäuche.
Der Häuptling war mächtig und stark, er konnte sich nehmen, was ihm gefiel. Er schickte Boten mit einem Pottwalzahn aus. Sie wurden von Kriegern begleitet. Jeder musste ihnen gehorchen, und wer es nicht tat, wurde auf der Stelle umgebracht. Sie gingen von Hütte zu Hütte und sprachen: »Seht diesen Pottwalzahn. Der Häuptling verlangt eines eurer Kinder.«
Trauer herrschte bald in jedem kinderreichen Haus. Die Eltern weinten und sprachen: »Was soll aus uns werden? Wir hungern, und der Häuptling frisst uns auf. Er ist ein grausamer, böser Mensch.«
Im Dorf des Häuptlings lebte auch ein alter Mann, der hieß »Mann des Glücks«. Mit ihm lebten seine Frau und acht Kinder, schön wie Muscheln an einer Schnur. Die Menschen sagten: »Seht das Haus vom Mann des Glücks. Es ist ein volles Haus, es ist ein glückliches Haus.«
Doch die Reihe kam auch an ihn. Die Boten kamen in seine Hütte: »Sieh diesen Pottwalzahn. Das heißt, dass eines deiner Kinder mit uns gehen muss.«
Schwer wurde sein Herz, schwer das Herz seiner Frau. Sie gingen zu ihren Kindern und brachen in lautes Weinen aus. Welches sollten sie opfern? Ihre Wahl fiel schließlich auf das siebte. Sie kämmten ihm das Haar, salbten und küssten es, bis ein Krieger es ihnen roh entriss.
Laut wehklagend ließen sich der Mann und die Frau zu Boden sinken.
Im Haus aber lebte ein kleiner listiger Kobold, der das Haus behütete, damit es nicht von bösen Geistern heimgesucht wurde. Tagsüber schlief er, nachts verspeiste er das Essen, das ihm das siebte Kind in einer Schüssel hingestellt hatte.
An diesem Tag wurde der kleine Geist von dem Wehklagen geweckt: »Was ist hier los? Warum weint ihr so laut?«
Der Mann und die Frau wussten, dass der Kobold im Gebälk wohnte. Er war ein guter Geist, und er musste wissen, was geschehen war.
Der Vater sprach: »Der Häuptling hat unseren Sohn gefordert, wir werden ihn nie wiedersehen. Unser Unglück ist so hoch wie eine Palme, die in den Himmel reicht. Warum nur heiße ich ›Mann des Glücks‹? Die Trauer ist in unser Haus eingezogen, und ich weiß nicht, ob sie uns je verlassen wird. Schon zittere ich um das nächste Kind, das uns der gefräßige Häuptling wegnehmen will.«
»Acht Kinder waren es, jetzt sind es nur noch sieben«, jammerte die Mutter. »Voll war unser Haus. Voll von Kindern, voll von Glück. Jetzt wird es leer sein.«
Auch der kleine Geist weinte, aber er weinte nicht lange, denn er war ein listiger Kobold. »Verjagt die Tränen. Auch ich liebe eure Kinder. Sieben Kinder, schön wie Muscheln an einer Schnur. Glaubt mir, der Häuptling wird sie in Ruhe lassen. Heute Nacht wird sich etwas Seltsames ereignen.«
Der Mann des Glücks hörte auf zu weinen. Er strich seiner Frau über das Haar. »Sei nicht verzagt, der kleine Geist meint es gut. Er wird die Kinder retten.« Und sie legten sich auf die Matten zum Schlaf.
Mitten in der Nacht hörte der Mann des Glücks eine Stimme. »Steh auf und hole die weise Frau.«
»Du machst dich lustig über mich«, sagte der alte Mann zu dem Kobold. »Meine Frau ist viel zu alt, um noch ein Kind zu gebären. Was soll ich also bei der weisen Frau?«
»Du musst gehen«, sagte der kleine Geist, mit einer Stimme, scharf wie eine geborstene Muschel. Da gehorchte der Mann des Glücks und lief aus dem Haus.
Die weise Frau lachte, als sie den Alten sah. Aber seine Verzweiflung rührte sie, und schließlich folgte sie ihm.
Sie eilten zum Haus des alten Mannes und traten leise ein. Nur der kleine Geist rumorte im Gebälk. Dann stimmte er ein Lied an:
»Deine Frau hat Kummer im Herzen,
Denn der Häuptling nahm ihr Kind.
Nun zittert sie um jene,
Die ihr noch geblieben sind.«
Plötzlich fiel ein kleiner Körper vom Gebälk herab, ein warmer, rosafarbener Körper, und noch einer, und noch einer.
Die weise Frau fing sie auf. »Was sind
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