Hawkings neues Universum
Jean-Philippe Loys de Chéseaux (1744). Die Antwort, dass die Sonne hinter dem Horizont steht und somit diesen nächtlichen Teil der Erdoberfläche nicht beleuchten kann, ist unzureichend. Denn wenn, wie viele Wissenschaftler und Philosophen lange angenommen haben, das Universum ewig und unendlich wäre und es überall Sterne gäbe, müssten diese gleichsam an jeder Stelle des Himmels zu sehen sein. Dann wäre der aber überall so gleißend hell wie die Sonne – wir könnten vor lauter Sternen die Sterne nicht mehr sehen.
Livio versucht, diese verblüffende Schlussfolgerung zu veranschaulichen: „Stellen wir uns vor, wir stünden mitten in einem Wald, dessen Baumstämme allesamt weiß angestrichen wurden. Wenn der Wald nicht sehr groß ist, kann man vielleicht in einigen Richtungen durch die Lücken zwischen den Baumstämmen einen Blick auf die Dinge erhaschen, die außerhalb des Waldes sind. Wenn der Wald jedoch sehr viel ausgedehnter ist, erscheint er gleichförmig weiß. In welche Richtung man auch schaut, immer trifft der Sehstrahl auf einen Baumstamm.“ – Man sieht gewissermaßen vor lauter Wald die Bäume nicht mehr.
Da dieser Effekt unabhängig von der Distanz ist, spielt es keine Rolle, dass Sterne unvorstellbar weit entfernt sind, viel weiter als Bäume. Auch können die vielen Staubwolken im Weltraum nicht die Dunkelheit des Nachthimmels bewirken, indem sie das Licht der Sterne dahinter verschlucken. Denn in einem ewigen Universum wäre genügend Zeit dafür, dass das Licht die Wolken aufheizt und diese somit selbst zu leuchten beginnen. Für die allnächtliche Erfahrung muss es also eine andere Ursache geben. Tatsächlich verrät die Dunkelheit des Nachthimmels einiges über die Natur des Universums und spielt eine große Rolle für die wissenschaftliche Kosmologie. Doch das ist eine lange Geschichte ...
Die Flucht der Galaxien
„Wir sind schon recht weit in den Weltraum vorgedrungen“, hatte der Astrononom Edwin Powell Hubble in seinem letzten wissenschaftlichen Artikel geschrieben. „Unsere nächste Nachbarschaft kennen wir gut. Aber mit zunehmender Entfernung schwindet unser Wissen, bis wir am fernsten, dunklen Horizont unter schrecklichen Messfehlern nach Wegzeichen suchen, die auch nicht viel aussagekräftiger sind. Die Suche wird weitergehen. Dieser Drang ist älter als die Geschichte. Er ist noch nicht gestillt, und er wird sich auch nicht unterdrücken lassen.“
Diese Worte haben nichts an Aktualität verloren. Hubbles Forschungen haben ein Universum enthüllt, das viel größer war, als viele glaubten. Nicht nur war er an der Erkenntnis beteiligt, dass andere Galaxien Sternzusammenballungen sind wie die Milchstraße. Er hatte 1929 auch entdeckt, dass das Weltall buchstäblich auseinanderfliegt.
Schon um 1914 hatte Vesto Melvin Slipher am Lowell Observatory in Arizona erste Indizien dafür aufgespürt, dass sich die Galaxien voneinander entfernen. (Carl W. Wirtz in Deutschland, Knut E. Lundmark in Schweden und Ludwik W. Silberstein in den USA fanden 1924 sogar Anzeichen dafür, dass besonders kleine und deshalb wohl fernere Spiralnebel sich schneller von der Milchstraße entfernten als größere.) Freilich war die Existenz anderer Galaxien außerhalb der Milchstraße damals noch Spekulation und wurde erst 1924 von Hubble nachgewiesen. Er war es auch, der zusammen mit Milton Humason dank des neuen 100-Zoll-Teleskops auf dem Mount Wilson ab 1929 Sliphers Vermutungen bestätigte: Die Spektren anderer Galaxien (ihr in die Regenbogenfarben zerlegtes Licht) sind größtenteils in den langwelligen, roten Bereich verschoben, und zwar umso stärker, je weiter diese Galaxien von uns entfernt sind. Das bedeutet, dass sie sich von der Milchstraße fortbewegen, und zwar bei wachsendem Abstand mit zunehmender Geschwindigkeit. Die Milchstraße ist aber nicht das imaginäre Zentrum einer ungeheueren Explosion, sondern von jeder anderen Galaxie wäre derselbe Effekt zu beobachten. Er ist die Folge eines Zuwachses an Raum zwischen den Galaxienhaufen. Diese bewegen sich alle voneinander fort wie Rosinen in einem aufgehenden Kuchenteig. Der Weltraum ist also nicht statisch, sondern er dehnt sich aus, als würde überall ein Maßband auseinander gezogen. Das gilt allerdings nicht innerhalb der Galaxien, weil dort die Schwerkraft der Massen die Ausdehnung verhindert. (Schlemmer können also ihren wachsenden Leibesumfang nicht mit der Ausdehnung des Universums erklären oder rechtfertigen, und die Zunahme
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