Hawkings neues Universum
Universum, dass eine Behinderung keine kosmische Bedeutung hat.“ In Die kürzeste Geschichte der Zeit beschränkt er sich auf einen Satz: „Die Stellung, die wir Menschen in diesem riesigen Kosmos einnehmen, erscheint eher unbedeutend“ – was gleichermaßen britisches Understatement ist und eine Andeutung davon, dass diese Bedeutungslosigkeit vielleicht doch relativiert werden muss.
„Ich könnte in einer Nussschale eingesperrt sein und mich für einen König von unermesslichem Gebiete halten“, heißt es in William Shakespeares Hamlet . „Obwohl wir Menschen physischen Einschränkungen unterworfen sind, können unsere Gedanken frei und ungebunden das Universum erforschen“, interpretiert Hawking dies in seinem Buch Das Universum in der Nussschale . Er steht damit ebenfalls in der Tradition von Pascals Schilfrohr-Gleichnis. Und so wird auch Hawkings reger Geist – in seinen gelähmten Körper selbst wie in eine Nussschale eingesperrt – nicht müde, Raum und Zeit zu erkunden. „Ich lebe gern. Es gibt so viel zu tun und zu entdecken.“
Vielleicht hat diese Einstellung – und die Faszination für seine Forschung – mit dazu beigetragen, dass Hawking allen ALS-Statistiken und medizinischen Sterbeprognosen trotzte. Und diesen „Aufschub“ hat er fulminant genützt. Wie jeden und alles wird auch ihn die Ewigkeit aufzehren, und der Raum wird ihn verschlingen, wie Pascal schrieb. Aber seine Forschungen haben ihn doch bereits unsterblich gemacht – jedenfalls im begrenzten irdischen Maßstab. Denn so lange es Physik und Kosmologie gibt, werden Hawkings Arbeiten über die Schwarzen Löcher und den Urknall Bestand haben.
Spätestens seit dem 20. Jahrhundert ist die Kosmologie – die wissenschaftliche Beschreibung und Erklärung der Beschaffenheit, Entstehung, Entwicklung und Zukunft des Kosmos – eine nicht nur theoretische, sondern auch empirische naturwissenschaftliche Disziplin. Ihr Name leitet sich ab von griechisch „kosmos“ = Ordnung und „logos“ = Lehre, Wissenschaft. Ihre Wurzeln reichen in die prähistorische Zeit zurück. Denn vermutlich haben Menschen, seit sie zu sprechen und denken begannen, über den Ursprung und die Natur der Welt nachgedacht. Und die Astronomie stand aufgrund der leicht beobachtbaren Regelmäßigkeiten des Himmelsgeschehens am Anfang der Wissenschaft.
Die moderne Ausformung der Kosmologie begann freilich erst 1917 mit Albert Einsteins Anwendung seiner Allgemeinen Relativitätstheorie auf das Weltall als Ganzes. Die Relativistische Kosmologie beruht auf den Annahmen der Homogenität und Isotropie, wonach das Universum überall und in allen Richtungen im Großen und Ganzen gleich beschaffen ist. Beobachtungen haben in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass dies für sehr großräumige Maßstäbe tatsächlich im Wesentlichen zutrifft. Das ist das entscheidende Indiz dafür, dass die Erde – zumindest im Rahmen des den Teleskopen zugänglichen Volumens – keine räumliche Sonderstellung hat. Insofern haben Demokrit und Epikur gegen Aristoteles Recht behalten.
Der Bedeutungskosmos des Kosmos
„Für die Sehenden ist der Kosmos eine Einheit“, behauptete der vorsokratische Philosoph Heraklit aus Ephesos, einer Nachbarstadt von Milet. Dies ist eine metaphysische und symbolische Aussage, denn auch vor 2500 Jahren glaubte niemand, den Kosmos ganz überblicken oder durchschauen zu können. Und bis heute ist der Kosmos ein Gegenstand der Metaphysik geblieben – also jener philosophischen und spekulativen Untersuchung des Seins gleichsam vor und jenseits der physikalischen sowie erfahrbaren Wirklichkeit – und nicht nur ein weites Feld für die Naturwissenschaft. Als Teil der speziellen Metaphysik (im Gegensatz zur allgemeinen: der Ontologie oder Seinslehre) wurde die Kosmologie zwar erst seit 1728 klassifiziert, durch den vor allem in Halle und Marburg lehrenden Philosophen Christian Wolff. Aber schon zu Beginn der abendländischen Philosophie, bei Vorsokratikern wie Heraklit, war der Kosmos ein Gegenstand des Nachdenkens – und im mythischen und religiösen Denken noch viel früher.
Dabei hat der Begriff „Kosmos“ eine mehrfache Bedeutungsveränderung und -erweiterung erfahren. Aus der indoeuropäischen Wortwurzel „kos“ für „(an)ordnen“ ist das griechische „kosmos“ abgeleitet, das ursprünglich „Anordnung“ meinte, und zwar im militärisch-politischen Kontext: Gehorsam, Durchsetzung von Befehlen, Eingliederung Einzelner in größere Strukturen
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