Heaven - Stadt der Feen
Lippen und betrachtete das Herz in seiner Hand. Es sah aus wie all die anderen auch, die er früher gestohlen hatte. Sie aus den Körpern zu schneiden, bereitete ihm Vergnügen. Als Kind hatte er Katzenfelle an die Händler in Whitechapel verkauft, schon damals hatte er mit genau diesem Messer gearbeitet. Sein Auftraggeber würde zufrieden sein. All seine Auftraggeber waren zufrieden mit dem, was er leistete.
Bereits einige Male hatte er ein Herz besorgt. Das Mädchen war sein neues Opfer. Mr Drood wusste, dass nicht jedes Herz für seinen Auftraggeber infrage kam. Allein die Auslese zu treffen, erforderte nicht wenig Geduld. Deswegen auch der Lumpenmann. Es musste ein gesundes Herz sein, eines, das nicht unglücklich war. Die Toten hatten ein Gespür für lebendige Herzen, in denen das Glück daheim war. Das kam wohl daher, dass sie tot waren und sich nach einem warmen schlagenden Herzen sehnten.
Auch dieser hier hatte getan, was Mr Drood von ihm verlangte. Sie hatten das Herz gefunden, Mr Drood hatte die Klinge gezückt, einen langen Schnitt getan und das Herz entnommen. Es war ganz einfach, und wenn man es öfter tat, dann fiel es leichter und leichter.
Heaven war da keine Ausnahme.
Doch dann passierte etwas, was sonst nicht passierte. Etwas, das eigentlich nicht geschehen konnte.
Die junge Frau, die eben noch regungslos und sterbend dagelegen hatte (ja, sterbend, da war Mr Drood sich ganz sicher), jene junge Frau mit dem seltsamen Namen Heaven und der noch seltsameren Angewohnheit, auf fremden Dächern die Sterne am Nachthimmel zu beobachten, sein Opfer,das nicht anders als all die anderen Opfer gewesen war, . . . diese junge Frau sprang plötzlich auf und begann davonzulaufen.
Mr Drood erstarrte, weil er so etwas noch nie zuvor erlebt hatte. Niemand lief davon, wenn man ihm das Herz genommen hatte.
Heaven tat es dennoch.
Sie rannte um ihr Leben.
Mr Drood sah ihr verwundert, aber ruhig hinterher. Sie zu verfolgen, wäre unnötig. Er hatte, weswegen er ihr gefolgt war.
Und der Lumpenmann war zwar ein guter Fährtenleser, aber kein Jäger. Er war schon zu lange nicht mehr lebendig, um das Mädchen verfolgen zu können. Normalerweise, dachte Mr Drood, rennen sie ja auch nicht fort, nachdem man ihnen das Herz genommen hat.
Als wolle er sich seiner Tat sicher sein, betrachtete er erneut das Herz in seiner Hand. Dann schüttelte er den Kopf und steckte es in den großen Lederbeutel, den er eigens zu diesem Zweck hatte anfertigen lassen, von einem alten Kürschner in Soho.
Der Lumpenmann stieß einen Laut aus, der wie ein trockenes Husten klang.
»Wir haben, was wir brauchen«, sagte Mr Drood zu dem Lumpenmann. Der Lumpenmann, an dessen Kleidung trockene Erde haftete, erwiderte nichts. Die beiden schauten dem Mädchen hinterher, und als sich ihre Silhouette in der Ferne verlor, da gingen sie ihres Weges. Denn die Nacht war noch jung – und der Auftrag, der Mr Drood und den Lumpenmann nach Kensington geführt hatte, war noch nicht ganz erledigt.
1. Kapitel
Wie es begann, in finsterer Nacht
E r war nicht zum ersten Mal des Nachts unterwegs und auch die Dächer in dieser Gegend waren ihm bekannt. Ziemlich oft nahm er den Weg über die Ziegel und Zinnen, an manchen Tagen (oder in manchen Nächten) ging es einfach schneller.
David Pettyfer hatte sich den langen Schal eng um den Hals geschlungen, den Kragen der alten fleckigen Lederjacke hochgeschlagen und die Hängetasche mit den Flicken geschultert, ein letztes Mal geprüft, ob die kostbare Fracht auch sicher verstaut war, und dann war er in die Nacht hinausgegangen. Er mochte diese nächtlichen Ausflüge, weil die Stadt anders war, wenn die Sonne nicht mehr schien. Die vielen Lichter webten einen geheimnisvollen Zauber in die Straßen und Gassen und brachen sich in dem zarten Schleier aus Nebel und Nieselregen, der so typisch für London war. Alles wirkte auf eine schmutzige Art und Weise verwunschen, als seien die Märchen, an deren Wahrheiten man als kleines Kind glaubte, erwachsen geworden.
David mochte den Geruch der Stadt.
David mochte London.
Nur das ganz und gar und immerzu sternenlose Stück Firmament über der City war etwas, an das er sich nie richtig gewöhnt hatte. Seitdem er zurückdenken konnte, gab die Nacht hoch über der City den Menschen Rätsel auf, aber daniemand des Rätsels Lösung gefunden hatte, hatten sich die meisten damit abgefunden. Nur ihm wollte das nicht so recht gelingen. Sein Kumpel Mike hatte ihn deswegen oft genug
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