Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
1
Ich hör schon das Gras wachsen,
in welches ich beißen werd.« (Nestroy: Die Papiere des Teufels)
Zwei Männer saßen im Dämmerlicht
des Wiener Zwölfapostelkellers und tranken Wein. Die wenigen Worte, die sie dabei
miteinander wechselten, ohne ihre Stimmen allzu sehr zu erheben, ließen sich kaum
aus der allgemeinen Geräuschkulisse herausfiltern. Es schien sich aber um eine wichtige
Angelegenheit zu handeln, die sie besprachen.
»Warum?«,
fragte der jüngere.
»Weil nicht
mehr viel Zeit bleibt«, belehrte ihn der ältere.
»Und weshalb
ich?«
Der ältere
lächelte müde. »Weil jede erbrachte Leistung eine Gegenleistung erfordert«, erwiderte
er. »Das versteht sich doch von selbst.«
»Was ist,
wenn ich es nicht tue?«, wollte der jüngere nach kurzem Nachdenken wissen.
»Das wäre
unklug. Muss ich dich daran erinnern, dass du auf meine Großzügigkeit angewiesen
bist?«
»Es ist
ein kurioses und ungewöhnliches Anliegen«, meinte der jüngere kopfschüttelnd.
»Das zu
beurteilen steht dir nicht zu«, vermeldete der ältere knapp. Dabei lächelte er sein
Gegenüber mit einer Mischung aus Bestimmtheit und Überlegenheitsgefühl an. Offensichtlich
genoss er die Situation.
Stickig
und schwül hing die Luft in dem alten Gemäuer zwischen den beiden und bildete eine
unsichtbare Barriere. Was zu sagen war, war gesagt. Es gab nichts Persönliches,
was sie einander noch mitteilen wollten. Der jüngere nippte bedächtig an den letzten
Resten in seinem Glas. Er wollte hinaus an die frische Luft, in den lauen Juniabend.
Aber er wartete geduldig, bis der ältere ausgetrunken hatte. Der bestellte dann
allerdings noch ein Viertel Wein.
»Ich fühle
mich wohl in diesem Gewölbe«, versuchte er zu erklären. »Ich mag das düstere Licht,
es tut meinen Augen gut. Ich mag die abgestandene Luft, die sich hier gefangen hat.
Es ist ein Ort, der mich vergessen lässt, was auf der Welt geschieht und an dem
ich mich sicher fühle. Die alten Mauern halten noch etwas aus. Hier hat man Schutz,
selbst wenn oben alles zusammenbricht. Aber ich möchte dich nicht aufhalten. Ich
sehe, du hast es eilig, wieder hinauf zu kommen.«
Der jüngere
stand wortlos auf, drehte sich um und ging, ohne sich zu verabschieden. Bloß weg,
ehe ich ersticke, dachte er.
2
»Auch der minder Gebildete
kann alle Tag’ Sachen genug bemerken, welche deutlich beweisen, dass die Welt nicht
lang mehr steht.« (Nestroy: Lumpazivagabundus)
Thomas Korber, Lehrer für Deutsch
und Englisch am Floridsdorfer Gymnasium, saß seinem Direktor Marksteiner mit keinem
guten Gefühl gegenüber. Die Sekretärin, Frau Pohanka, hatte ihn mit leisem Hüsteln
und so unauffällig, dass alle seine Kollegen es bemerken mussten, aus dem Konferenzzimmer
zu dieser Besprechung geholt. Das bedeutete: Vorsicht!
»Schön,
dass Sie sich Zeit nehmen konnten«, begrüßte Marksteiner ihn. »Ich will auch nicht
lange um den heißen Brei herumreden. Ich habe mir die Schularbeitsstatistiken in
Deutsch angesehen. Dabei ist mir aufgefallen, dass Ihre 6B bei der letzten Arbeit
ganz schlechte Ergebnisse erzielt hat, weit unter dem Durchschnitt der gesamten
Schule.«
Aha, daher
wehte also der Wind. Der Direktor war mit seinen Noten nicht zufrieden. Korber hatte
schon befürchtet, dass Marksteiner wieder einmal eine Unregelmäßigkeit in seinem
Lebenswandel beanstanden wollte. »Die Klasse weist derzeit auch ein mehr als bescheidenes
Niveau in Deutsch auf«, verteidigte er sich.
»Seltsam.
In ihr sitzen, im Vergleich zu anderen Klassen, sogar weniger Schüler mit nichtdeutscher
Muttersprache!«
»Das mag
sein, aber es ist nicht das Kriterium. Es ist die schlampige Arbeitsweise. Schüler,
die mit Deutsch aufgewachsen sind, glauben eben, es könne ihnen bei einem Aufsatz
nicht viel passieren. Dann kommt es zu ungenauer Rechtschreibung und Grammatikfehlern,
ganz zu schweigen von den Defiziten dabei, die eigene Meinung zu formulieren oder
ein Problem von verschiedenen Seiten zu betrachten. In der 6B sind diese Schwächen
ganz besonders stark ausgeprägt.«
»Nun ja,
auf jeden Fall stehen jetzt bald die Jahresnoten fest«, betonte Marksteiner. »Lassen
sich schon Ergebnisse vorhersagen?« Trotz seiner Ruhe und Sachlichkeit merkte man,
dass ihm die Angelegenheit äußerst wichtig war.
»Die Schüler
mit negativen Noten absolvieren derzeit ihre entscheidenden Prüfungen«, gab Korber
Auskunft. »Es ist in solchen Fällen immer schwierig, Prognosen zu stellen, aber
ich
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