Heidelberger Requiem
frühstücken, fuhr ich morgens um sieben in Karlsruhe los, um nicht gleich am ersten Tag zu spät zu kommen. Meinen Töchtern hatte ich ihr Nutella und Toastbrot bereitgestellt, damit sie sich nicht zu einsam fühlten, wenn sie gegen Mittag aufstehen würden. Die Nachbarn, die sich ein wenig um sie kümmerten, seit sie keine Mutter mehr hatten, waren seit zwei Wochen in Urlaub auf Madeira. Da meine Eltern vor drei Jahren ihren Alterswohnsitz im Süden Portugals bezogen hatten, musste ich die Kinder notgedrungen allein lassen. Die Schule begann erst in vierzehn Tagen wieder, und die Mädchen würden den Tag vermutlich wie üblich an irgendeinem Baggersee verbringen, zusammen mit Leuten, die ich nicht kannte und vielleicht auch nicht kennen sollte. Einen Bullen zum Vater zu haben, galt in gewissen Kreisen als krass uncool. Zuletzt hatte ich noch einen Zehn-Euro-Schein unter das Nutella-Glas geklemmt, damit sie sich etwas zu essen kaufen konnten. Ich hoffte, dass er nicht nur gegen Big-Macs und Cola eingetauscht würde.
In dem für meinen Geschmack ungemütlich großen Büro fühlte ich mich schon nach wenigen Minuten einsam. Bis halb neun räumte ich ohne viel Sinn in meinem altmodischen und muffig riechenden Schreibtisch herum, stellte ein paar mitgebrachte Bücher in den dunkelbraunen, noch altmodischeren Bücherschrank mit gruselig knarrenden Türen und versuchte herauszufinden, ob es hier eher nach Bohnerwachs oder Möbelpolitur roch.
Alles in allem hatte ich nun zweiundzwanzig Beamte unter mir, darunter vier Frauen. Ich würde eine Weile brauchen, um mir die Namen zu merken.
Eine der Frauen war meine Sekretärin, Sonja Walldorf. Sie war schon vor mir am Platz gewesen, trug ein sommerliches Blumenkleid und schien merkwürdigerweise noch aufgeregter zu sein als ich. Meine Frage, ob es wohl eine Chance gebe, diese scheußlichen Antiquitäten gegen etwas Moderneres auszutauschen, brachte sie in Verlegenheit, da sie keine Antwort wusste. Offenbar war sie gewohnt, auf alles eine Antwort zu wissen. Ich beschloss, bei nächster Gelegenheit mit Liebekind über das Thema Möbel zu sprechen. In diesem Museum wollte ich auf keinen Fall hausen.
Mein nächstes Problem war der Kaffee. Die ganze Polizeidirektion duftete inzwischen nach frischem Kaffee, aber ich traute mich nicht, Frau Walldorf danach zu fragen, aus Angst, sie könnte beleidigt sein. Sie war ja die erste Sekretärin meines Lebens, und ich hatte gehört, manche von ihrer Sorte könnten tödlich beleidigt sein, wenn man ihnen solch niedere Dienste zumutete. Andererseits hatte ich keinen Schimmer, wo sich die Quelle befand, die diesen verflixten Duft verbreitete. Erst, als sie mich verlegen-bestürzt fragte, ob ich denn gar keinen Kaffee wünschte, kam heraus, dass mein Vorgänger darauf bestanden hatte, täglich Punkt halb neun ein dampfendes Kännchen zusammen mit zwei frischen Croissants auf dem Schreibtisch zu haben. Wir kamen überein, dass man mit guten alten Gewohnheiten nicht ohne zwingenden Grund brechen solle.
Die Croissants vom Bäcker an der Ecke schmeckten vorzüglich. Der Arabica-Kaffee war frisch gebrüht, eigens für mich, wie sie betonte. Wir saßen noch zehn Minuten zusammen, und sie gab mir einen ersten Überblick über die aktuellen Themen der Gerüchteküche. Draußen schien die Sonne, durch die offenen Fenster drangen Vogelgezwitscher und eine angenehm kühle Luft herein, die nach Sommer und Ferien roch. Ich fühlte mich wohl. Hier konnte man offenbar leben. Sollte ich doch die richtige Entscheidung getroffen haben? Die Zwillinge würden sich einleben, neue Freunde finden. In ihrem Alter vergisst der Mensch noch schnell.
Frau Walldorf hatte eine kleine Zusammenstellung der offenen Fälle vorbereitet. Derzeit arbeiteten meine Leute noch an einem Überfall auf die Volksbank in Eppelheim. Zwei vierzehnjährige Jungs waren seit Anfang der Schulferien vermisst, die sich wegen schlechter Noten nicht nach Hause getraut hatten. Die Universität wurde seit Beginn der Semesterferien von einer Einbruchserie heimgesucht, bei der hauptsächlich teure Laptops verschwanden, die sich bei ebay leicht zu Geld machen ließen. Und außerdem häuften sich in der Stadt die Taschendiebstähle, deren Opfer fast immer Touristen waren. Sonst lag nichts an. Auch Verbrecher müssen hin und wieder Urlaub machen.
Schließlich war es neun, der Kaffee zu Ende, und ich bat meine Sekretärin, mich auf meiner Begrüßungsrunde bei der Truppe zu begleiten. Auf dem Flur
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