Heidelberger Requiem
trafen wir Polizeioberrat Lamparth, den Chef der Schutzpolizei. In der letzten Woche war er noch in Urlaub gewesen, Tunesien, wie er mir strahlend erklärte, weshalb wir uns noch nicht kannten. Lamparth war zehn Jahre älter als ich, hatte ein offenes Lachen, ein kantiges Kinn, kräftige Zähne und schien ein umgänglicher Kerl zu sein. Schon nach drei Sätzen erklärte er mir, dass es in diesem Haus bisher nicht die üblichen dummen Eifersüchteleien zwischen Schutzpolizei und Kripo gegeben habe. Ich versprach ihm, dass ich daran nichts zu ändern gedenke, und hielt ihm aus dem Stegreif ungefähr ein Drittel meiner Rede vom letzten Mittwoch. Inzwischen begann es schon wieder heiß zu werden.
Die Kripo belegte fast das komplette erste Obergeschoss des weitläufigen Gebäudes. Ich klopfte energisch an die erste Tür und trat ein. Irgendwo hatte ich gehört, man solle als Vorgesetzter nicht auf ein »herein« warten. Ein entschlossener Auftritt schafft Respekt. Draußen hatte ich zwei Namen gelesen: Erste KHK K. Vangelis und KOK S. Balke. Die beiden sprangen auf, als ich eintrat. Balke deutlich schneller als seine Kollegin. Ich ging auf die Frau zu, um ihr die Hand zu schütteln. Ihr Blick war kühl, um nicht zu sagen abweisend. Liebekind hatte mir im Vertrauen mitgeteilt, sie habe zu meinen engsten Konkurrentinnen gezählt, und Frau Walldorf hatte mich mit bedeutenden Blicken darauf vorbereitet, dass die Erste Kriminalhauptkommissarin Klara Vangelis leider oft gar kein umgänglicher Mensch sei.
Für ihren Dienstgrad war die Frau überraschend jung. Sie musste äußerst ehrgeizig sein. Sehr zögernd hob sie die Hand, und es war offensichtlich, dass sie absolut nichts dagegen gehabt hätte, wenn mich genau jetzt und vor ihren großen dunklen Augen der Teufel geholt hätte.
Zu ihrer sichtlichen Erleichterung klingelte das Telefon. Sie wandte sich ab und ließ mich mit ausgestreckter Hand stehen, obwohl auch Balke das Gespräch hätte annehmen können. Während sie telefonierte, hatte ich Gelegenheit, sie zu betrachten. Wäre sie einige Zentimeter größer gewesen, sie hätte als Model arbeiten können. Üppiges schwarz glänzendes Haar, eine Figur wie aus einem Modekatalog ausgeschnitten und dazu eine helle Bluse und ein dunkles Kostüm, dem sogar ich ansah, dass es dem Gehalt einer Kripobeamtin in keiner Weise angemessen war.
Das Gespräch dauerte nur wenige Sekunden. Mit unbewegter Miene machte sie sich Notizen und legte auf mit der Bemerkung: »Okay. In zehn Minuten.« Sie riss das Blatt vom Block und warf Balke einen Blick zu. »Mord im Emmertsgrund draußen.«
Balke sah ratlos von ihr zu mir. Offensichtlich wusste er nicht, wer hier im Augenblick das Sagen hatte. Sie ergriff mit der linken Hand eine große Schultertasche aus schwarzem Leder, während ihre Rechte einen Schlüsselbund aus der Schreibtischschublade fischte.
»Ich komme mit«, sagte ich entschlossen.
Balke guckte verdutzt, Sonja Walldorf errötete.
»Sie sind der Boss«, meinte Vangelis achselzuckend.
»So lerne ich gleich ein bisschen die Stadt und Ihre Arbeitsweise kennen«, erklärte ich Balke, da Vangelis eisern in eine andere Richtung sah.
»Ich alarmiere mal die Spurensicherung«, murmelte Balke verwirrt.
»Das haben die Kollegen vom Revier schon getan.« Vangelis ging davon, ohne sich weiter um uns zu kümmern. Wir hatten Mühe, ihr zu folgen. Frau Walldorf sah uns mit verzweifeltem Gesichtsausdruck nach und fürchtete offenbar das Schlimmste.
Im Wagen, einem Siebener BMW, den Vangelis fuhr wie der Leibhaftige persönlich, klärte sie uns darüber auf, dass der Anruf von einer Streifenwagenbesatzung gekommen sei, die ihrerseits der Hausmeister eines der Hochhäuser im Emmertsgrund alarmiert habe. Ich hörte den Namen des Viertels zum ersten Mal. Nach den Bemerkungen meiner Untergebenen zu schließen, lag es im Süden und war nicht gerade eine der besten Wohngegenden Heidelbergs. Aufgrund eines immer unerträglicher werdenden Gestanks hatte der Hausmeister heute Morgen eine der Penthouse-Wohnungen geöffnet und die Leiche des Bewohners darin gefunden. Bei dem Toten handelte es sich um einen jungen Mann namens Patrick Grotheer, las Vangelis von ihrem Zettel ab, während der BMW mit hundertzwanzig die holprige Rohrbacher Straße entlangdonnerte.
Balke fand endlich den Knopf für das Martinshorn und setzte das Blaulicht aufs Dach. »Grotheer?«, fragte er mit hochgezogenen Brauen.
»Exakt.« Vangelis schaltete hoch.
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