Heidi - Buch 1 und 2 - Illustrierte Ausgabe
schoß er in die Tannen und rüttelte und schüttelte sie, und es war, als jauchze er vor Vergnügen, und das Heidi mußte auch aufjauchzen und wurde dabei hin und her geblasen wie ein Blättlein. Dann lief es wieder auf das sonnige Plätzchen vor der Hütte und setzte sich auf den Boden und guckte in das kurze Gras hinein, zu entdecken, wie viele kleine Blumenkelche sich öffnen wollten oder schon offen waren. Da hüpften und krochen und tanzten auch so viele lustige Mücken und Käferchen in der Sonne herum und freuten sich, und das Heidi freute sich mit ihnen und sog den Frühlingsduft, der aus dem frisch erschlossenen Boden emporstieg, in langen Zügen ein und meinte, so schön sei es noch nie auf der Alp gewesen. Den tausend kleinen Tierlein mußte es so wohl sein wie ihm, denn es war gerade, als summten und sängen sie in heller Freude alle durcheinander:
»Auf der Alp! Auf der Alp! Auf der Alp!«
Vom Schopf hinter der Hütte hervor ertönte es hie und da wie ein eifriges Klopfen und Sägen, und das Heidi lauschte auch einmal dorthin, denn das waren die alten, heimatlichen Töne, die es so gut kannte, die von Anfang an zum Leben auf der Alp gehört hatten. Jetzt mußte es aufspringen und auch einmal dorthin rennen, denn es mußte doch wissen, was beim Großvater vorging. Vor der Schopftür stand schon fix und fertig ein schöner neuer Stuhl, und am zweiten arbeitete der Großvater mit geschickter Hand.
»Oh, ich weiß schon, was das gibt«, rief das Heidi in Freuden aus. »Das ist nötig, wenn sie von Frankfurt kommen. Der ist für die Großmama und der, den du jetzt machst, für die Klara, und dann… dann muß noch einer sein«, fuhr das Heidi zögernd fort, »oder glaubst du nicht, Großvater, daß Fräulein Rottenmeier auch mitkommt?«
»Das kann ich nun nicht sagen«, meinte der Großvater, »aber es ist sicherer, einen Stuhl bereit zu haben, daß wir sie zum Sitzen einladen können, wenn sie kommt.«
Das Heidi schaute nachdenklich auf die hölzernen Stühlchen ohne Lehne hin und machte still seine Betrachtungen darüber, wie Fräulein Rottenmeier und ein solches Stühlchen zusammenpassen würden. Nach einer Weile sagte es, bedenklich den Kopf schüttelnd:
»Großvater, ich glaube nicht, daß sie darauf sitzt.«
»Dann laden wir sie auf das Kanapee mit dem schönen grünen Rasenüberzug ein«, entgegnete ruhig der Großvater.
Als das Heidi noch nachsann, wo das schöne Kanapee mit dem grünen Rasenüberzug sei, erscholl plötzlich von oben her ein Pfeifen und Rufen und Rutenschwingen durch die Luft, daß das Heidi sofort wußte, woran es war. Es schoß hinaus und war augenblicklich von den herabspringenden Geißen umringt. Denen mußte es wohl sein, wie es dem Heidi war, wieder auf der Alp zu sein, denn sie machten so hohe Sprünge und meckerten so lebenslustig wie noch nie, und das Heidi wurde dahin und dorthin gedrängt, denn jede wollte ihm zunächst kommen und ihre Freude bei ihm auslassen. Aber der Peter stieß sie alle weg, eine rechts und die andere links, denn er hatte dem Heidi eine Botschaft zu überbringen. Als er zu ihm vorgedrungen war, hielt er ihm einen Brief entgegen.
»Da!« sagte er, die weitere Erklärung der Sache dem Heidi selbst überlassend. Es war sehr erstaunt.
»Hast du denn auf der Weide einen Brief für mich bekommen?« fragte es voller Verwunderung.
»Nein«, war die Antwort.
»Ja, wo hast du ihn denn genommen, Peter?«
»Aus dem Brotsack.«
Das war richtig. Gestern abend hatte der Postbeamte im Dörfli ihm den Brief an das Heidi mitgegeben. Den hatte der Peter in den leeren Sack gelegt. Am Morgen hatte er seinen Käse und sein Stück Brot darauf gepackt und war ausgezogen. Den Öhi und das Heidi hatte er wohl gesehen, als er ihre Geißen abholte, aber erst als er um Mittag mit Brot und Käse zu Ende war und noch die Krumen herausholen wollte, war der Brief wieder in seine Hand gekommen.
Das Heidi las aufmerksam seine Adresse ab, dann sprang es zum Großvater in den Schopf zurück und streckte ihm in hoher Freude den Brief entgegen: »Von Frankfurt! Von der Klara! Willst du ihn gleich hören, Großvater?«
Das wollte dieser schon gern, und auch der Peter, der dem Heidi gefolgt war, schickte sich zum Zuhören an. Er stemmte sich mit dem Rücken gegen den Türpfosten an, um einen festen Halt zu haben, denn so war es leichter, dem Heidi nachzukommen, wie es nun seinen Brief herunterlas:
Liebes
Weitere Kostenlose Bücher