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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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herüberschaute; dann lief Rico schnell hinüber, und die Kinder hatten sich schon wieder viel zu sagen seit gestern Abend, wo sie sich zuletzt gesehen hatten, ehe Stineli ins Haus gerufen wurde. Stineli hieß das Mädchen und war gerade so alt wie Rico; sie hatten miteinander angefangen in die Schule zu gehen und waren in derselben Klasse, und schon von jeher waren sie immer beieinander gewesen, denn es war ja nur ein schmaler Weg zwischen ihren Wohnungen und sie waren die allerbesten Freunde.
    Rico hatte auch nur diese einzige Freundschaft, denn mit den Buben ringsherum hatte er keine Freude, und wenn sie sich prügelten und auf dem Boden herumwarfen und sich auf die Köpfe stellten, dann ging er davon und schaute nicht einmal zurück. Wenn sie aber riefen: »Jetzt wollen wir einmal den Rico abprügeln«, dann stand er still und stellte sich geradeauf hin und machte gar nichts; aber er schaute sie mit den dunkeln Augen so merkwürdig an, daß ihn keiner packte.
    Aber beim Stineli war’s ihm wohl zumute. Es hatte ein lustiges Stumpfnäschen und darüber zwei braune Augen, die lachten immerfort, und um den Kopf hatte es zwei dicke, braune Zöpfe gebunden, die sahen sehr sauber aus, denn das Stineli war ein ordentliches Mädchen und wußte sich zu helfen; es war auch in einer guten Schule Tag für Tag. Stineli war wohl kaum neun Jahre alt, aber es war die älteste Tochter und mußte der Mutter überall helfen, und da war viel zu tun. Denn nach dem Stineli kamen noch: das Trudi und der Sami und der Peterli, und das Urschli und das Anne-Deteli und der Kunzli, und dann noch das Ungetaufte. Immerfort rief man nach dem Stineli aus allen Ecken, und es war dabei so flink geworden, daß ihm alles aus der Hand lief wie von selbst. Den Kleinen hatte es immer schon drei Strümpfe und zwei Schuhe angezogen und festgebunden, eh’ das Trudi dem einen, dem es helfen sollte, nur die Beine dazu in die rechte Stellung gebracht hatte. Und wenn in der Stube die kleinen Kinder und in der Küche die Mutter miteinander dem Stineli riefen, dann rief der Vater noch aus dem Stall herüber, er hatte dort die Kappe verlegt oder die Peitsche war verknüpft, und das Stineli mußte ihm helfen, denn es fand die Kappe immer gleich, sie war meistens auf dem Futterkasten, und seine gelenkigen Finger brachten die Peitschenschnur gleich auseinander. So war das Stineli immerfort im Laufen und am Arbeiten, aber es war ganz lustig und munter dabei, und im Winter war es froh über die Schule, denn dann wanderte es dahin und wieder heim mit dem Rico, und in der Pause gingen sie auch zusammen. Und im Sommer war es wieder froh, da gab es schöne Sonntagabende, da es hinaus durfte; dann zog es aus mit dem Rico, der schon lange drüben unter der Tür gewartet hatte, und sie liefen Hand in Hand über die große Wiese hin nach der bewaldeten Anhöhe drüben, die weit in den See hinausgeht wie eine Insel. Dort oben saßen sie unter den Tannen und schauten in den grünen See hinunter und hatten einander so viel zu erzählen und zu fragen, und es war ihnen so wohl, daß das Stineli sich die ganze Woche und durch alles durch freute, denn es wurde immer wieder Sonntag.
    In dem Häuschen aber war noch jemand, der dann und wann nach dem Stineli rief, das war die alte Großmutter. Die rief aber nicht, damit es ihr noch helfe, sondern sie hatte ihm etwa einen Blutzger zu geben, der ihr in die Hand kam, oder sonst etwas, denn Stineli war ihr Liebling und sie sah es mehr als sonst irgend jemand, wie viel das Stineli schon tun mußte für sein Alter, mehr als die meisten Kinder. Darum gab sie ihm gern etwas, daß es auch wie andere Kinder am Jahrmarkt etwas kaufen könne, etwa ein rotes Bändeli oder ein Nadelbüchsli. Die Großmutter war auch gegen Rico sehr gut und sah die Kinder gern beisammen und tat auch manchmal etwas für das Stineli, daß es mit dem Rico noch ein wenig draußen bleiben durfte.
    An den Sommerabenden saß sie immer vor dem Häuschen auf dem Holzstumpf, der da lag; und oft standen Stineli und Rico bei ihr und sie erzählte ihnen etwas. Wenn dann die Betglocke zu läuten anfing vom Türmchen, so sagte sie: »Jetzt müßt ihr jedes ein Vaterunser beten, und das dürft ihr nie vergessen, daß man am Abend sein Vaterunser beten muß; dazu läutet die Betglocke.«
    »Und seht, Kinder«, sagte die Großmutter von Zeit zu Zeit einmal wieder, »ich habe schon lange gelebt und viel gesehen, und ich kenne nicht einen, der nicht einmal in seinem Leben sein

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