Heidi und andere klassische Kindergeschichten
und es komme ihm etwas Neues in den Sinn.
Da wurde Silvio still und schlief ein. Aber die Mutter hatte sich verrechnet. Noch war sie am Morgen kaum recht erwacht, so rief Silvio aus seinem Bettchen herauf: »Ist alles in Ordnung, Mutter?«
Als sie dies unmöglich bejahen konnte, ging ein solcher Sturm los, wie sie desgleichen an dem Büblein noch nie erlebt hatte, und den ganzen Tag ging das Unwetter fort bis zum späten Abend, und am Morgen darauf fing Silvio gerade so wieder an, wie er am Abend aufgehört hatte.
Eine solche Beharrlichkeit auf demselben Begehren hatte Silvio noch nie an den Tag gelegt. Wenn er schrie und lärmte, konnte sie’s noch ertragen; aber wenn nun die Stunden der großen Schmerzen kamen, da wimmerte Silvio fortwährend in der kläglichsten Weise: »Nur beim Stineli ist es einem wohl und sonst gar nirgends!«
Das schnitt der Mutter ins Herz und war ihr wie ein Vorwurf, so als wollte sie nicht tun, was ihm wohlmachen könnte; aber wie hätte sie auch nur daran denken können, sie hatte ja den Rico selbst auf Silvios Frage: »Weißt du auch den rechten Weg zum Stineli?« antworten hören: »Nein, ich weiß keinen Weg, aber ich finde ihn dann schon.«
Von Tag zu Tag hoffte sie, durch einen glücklichen Umstand komme dem Silvio eine neue Forderung in den Sinn, denn so war es sonst immer gewesen; sie konnte darauf rechnen: hatte er etwas begehrt, wenn ihm wohl war, so verwarf er es sicher, sobald seine Schmerzen kamen. Aber diesmal war es anders, und es hatte seinen guten Grund. Ricos Erzählungen und Aussprüche über das Stineli hatten in dem empfindlichen Gemüte des kranken Silvio die feste Überzeugung hervorgebracht, daß ihm nie mehr etwas weh tun würde, wenn das Stineli bei ihm wäre. So gebärdete sich Silvio jammervoller von Tag zu Tag, und seine Mutter wußte nicht, wo sie Rat und Beistand finden könnte.
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Sechzehntes Kapitel.
Ein Rat zur Freude für viele.
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In diesem Zustande der Unruhe war es für die Frau Menotti ein rechter Trost, als sie einmal wieder nach langer Zeit den wohlmeinenden alten Herrn Pfarrer im langen schwarzen Rock durch den Garten kommen sah, der von Zeit zu Zeit den kleinen Kranken besuchte. Sie sprang auf von ihrem Stuhl und rief erfreut: »Sieh, Silvio, da kommt der gute Herr Pfarrer!« und ging ihm entgegen. Silvio aber in seinem Groll über alle Dinge rief, so laut er konnte, der Mutter nach: »Ich wollte lieber, das Stineli käme!«
Dann kroch er aber eilends unter die Decke, damit der Herr Pfarrer nicht wissen könne, woher die Stimme kam. Die Mutter war sehr erschrocken und bat im Eintreten den Herrn Pfarrer, er solle doch den Empfang nicht übel nehmen, er sei auch nicht so ernst gemeint. Silvio rührte sich nicht, er sagte nur ganz heimlich unter der Decke: »Doch, es ist mir sicher ernst.«
Der Herr Pfarrer mußte geahnt haben, woher die Stimme kam; er trat gleich an das Bett heran, und obwohl er kein Haar von Silvio sah, sagte er: »Gott grüß’ dich, mein Sohn, wie steht es mit der Gesundheit, und warum verkriechst du dich in unterirdische Höhlen wie ein kleiner Dachs? Komm hervor und erkläre mir: was verstehst du unter einem Stineli?«
Nun kroch Silvio hervor, denn er hatte Respekt vor dem Herrn Pfarrer, da er nun so nah war. Er streckte schnell seine kleine magere Hand zum Gruße aus und sagte: »Dem Rico sein Stineli.«
Nun mußte die Mutter erklärend dazwischentreten, denn der Herr Pfarrer schüttelte verwundert den Kopf, indem er sich an Silvios Bett niedersetzte. Sie erzählte ihm nun die ganze Sache mit dem Stineli, und wie der kleine Silvio sich in den Kopf gesetzt habe, es werde ihm nie mehr wohl, wenn das Stineli nicht zu ihm komme, und wie der Rico nun auch unvernünftig geworden sei und meine, er könne das Mädchen holen, während er keinen Weg und Steg wisse und es ja so weit weg oben in den Bergen wohne, wo niemand zukomme, und man gar nicht wissen könne, was für ein erschreckliches Volk da sei. Denn man könne sich denken, wie es da zugehen müsse, wenn ein zartes Büblein, wie der Rico, lieber den größten Gefahren entgegenlaufe und sie bestehe, als unter solchen Leuten zu bleiben. Wenn alles anders wäre, fügte Frau Menotti hinzu, so wäre ihr kein Geld zu viel, so ein Mädchen kommen zu lassen, um dem Silvio das Verlangen zu stillen und jemand für ihn zu haben, denn manchmal werde es ihr fast zu viel mit allem, was sie zu tragen habe, und sie meine, sie könne nicht mehr fortkommen. Und der Rico, der
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